Tor der Daemmerung
Sie gar nicht daran glauben?«
»Eden ist real«, behauptete Jeb mit unerschütterlicher Überzeugung. »Es ist eine Stadt, mehr nicht. Ich hege keinerlei Illusionen über ein Gelobtes Land oder ein Paradies. Aber es existiert eine Stadt der Menschen, in der es keine Vampire gibt, und das ist Grund genug, sich auf die Suche zu machen.«
Mit einem Blick zu den verfallenen Wohnungen sagte Jeb: »Gott kann ich ihnen nicht bieten. Ich wünschte, ich könnte es, aber er ist in unerreichbarer Ferne. Doch ich kann ihnen Hoffnung schenken, die Hoffnung auf etwas Besseres.« Seine Miene wurde hart. »Und wenn wir Eden erreichen, kann ich ihnen vielleicht sogar noch mehr bieten.«
Seine Augen richteten sich wieder auf mich, unnachgiebig und kalt. »Diese Welt ist voller Übel«, erklärte er und starrte mich so durchdringend an, als würde er in meinen Kopf hineinsehen wollen. »Gott hat sie verlassen, aber das bedeutet nicht, dass wir uns den Teufeln ergeben müssen, die jetzt die Herrschaft innehaben. Ich weiß nicht, was uns jenseits dieser Hölle erwartet. Vielleicht ist das alles eine Prüfung. Eines Tages werden wir die Teufel möglicherweise für immer bannen können. Aber zunächst müssen wir Eden erreichen. Nichts ist wichtiger als das.«
Ein religiöser Fanatiker war er zwar nicht, aber trotzdem war er irgendwie gruselig, zumindest dieses entschlossene, fast schon an Besessenheit grenzende Funkeln in seinen Augen. »Tja, da können Sie ganz beruhigt sein«, versicherte ich ihm. »Wenn Sie unbedingt nach Eden suchen wollen, nur zu. Ich werde Sie bestimmt nicht davon abhalten.«
»Nein, das wirst du nicht.« Jebbadiah trat einen Schritt zurück, als wäre unser Gespräch damit beendet. »Geh nun zu Ezekiel.« Mit einem nachlässigen Winken entließ er mich. »Er soll dir ein Zelt und einen Rucksack beschaffen – wir haben noch einige übrig von denjenigen, die von uns gegangen sind. Und halte dich bereit, wir brechen auf, sobald die Sonne untergeht. Es liegt noch ein langer Weg vor uns.«
Nachdem er verschwunden war, überlegte ich ernsthaft, ob ich nicht besser die Flucht ergreifen sollte, nur weg von diesem irren Kult mit seinem fanatischen Anführer, der mich sowieso schon auf dem Kieker hatte. Wie sollte ich mich nähren, wenn der Alte mit dem Stechblick jede meiner Bewegungen verfolgte? Irgendetwas sagte mir, dass Jeb nicht gerade ein verständnisvoller Typ war. Wenn er entdeckte, was ich war, erwartete mich in naher Zukunft garantiert ein wütender Mob mit Fackeln und Holzpfählen.
Sollte ich einfach spurlos in der Dunkelheit verschwinden? Es war sowieso dumm und riskant, mich in der Nähe so vieler Menschen aufzuhalten. Vielleicht sollte ich doch zu dem Raubtier werden, dass diese kleine Gemeinschaft aus den Schatten heraus belauerte und sie durch die Nacht jagte. Doch dann kam Zeke mit einem grünen Rucksack über der Schulter um die Ecke, und meine Entschlossenheit war augenblicklich verpufft.
»Kopf hoch«, meinte er und warf mir den Rucksack zu. »Da drin sind ein Zelt und ein paar Vorräte«, erklärte er noch. Ich fing den Beutel auf und war überrascht, wie leicht er war. »Es ist nicht groß, aber wenigstens hält es den Regen ab, wenn wir im Freien campen. Du weißt doch, wie man ein Zelt aufstellt, oder?«
»Eigentlich nicht.«
»Ich kann es dir zeigen«, versprach Zeke lächelnd. »Morgen, versprochen. Aber jetzt habe ich die erste Wache bis zur Dämmerung. Setz dich ein paar Minuten zu mir, danach lasse ich dich schlafen. Nach dieser Nacht hast du den Schlaf sicher nötig.«
Ich lächelte zurück und folgte ihm zu der Stelle, wo er den Wachposten eingerichtet hatte. Dabei drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass dieser Junge – dieser hilfsbereite, freundliche und durch und durch nette Mensch – wahrscheinlich mein Untergang sein würde.
12
Am nächsten Abend erwachte ich zerschlagen und leicht desorientiert. Ich lag nicht in der kühlen, tröstenden Erde, sondern in einem Unterschlupf im obersten Stockwerk des alten Wohnblocks, den ich mir in der vergangenen Nacht gesucht hatte, weit weg vom Rest der Gruppe. Dazu hatte ich einige halb verfallene Treppen überwinden und den Tag in einem fensterlosen Kabuff verbringen müssen, direkt auf dem nackten Betonboden. Aber ich musste einfach verhindern, dass während des Tages jemand über mich stolperte und feststellte, dass ich wie eine Tote schlief.
Als ich im Erdgeschoss ankam, standen die meisten Gruppenmitglieder gerade
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