Torchwood 1: Ein anderes Leben (German Edition)
aus der Masse heraussticht. Nicht die Art, die es darauf anlegt. Dein Haar ist niemals zu hell gewesen, du hattest immer vernünftige Schuhe an, und dein Lippenstift hat nie zu grell geleuchtet.
Selbst als du darüber nachdenkst, kannst du die Stimme deines Vaters hören. Sie lobt dich für deine sichere, unkontroverse Auswahl. Naturwissenschaftliche Fächer als Abiturkurse: „So ist es richtig, Sandra. Dieser Kunst-Quatsch ist nichts für dich, du willst doch später mal einen ordentlichen Beruf haben.“ Eine Universität in der Nähe deiner Eltern: „Es ist finanziell sehr vernünftig, erst einmal zu Hause wohnen zu bleiben, Sandra.“ Regelmäßige Kirchenbesuche, ein Platz zwischen deinen Eltern, obwohl dir peinlich bewusst ist, dass die flötende Stimme deines Vaters sich während des Vaterunsers über das Gemurmel der Menge erhebt. „ Ein Tad, yr hwn wyt yn y nefoedd, sancteidd-ier dy Enw ...“
Dads Mantra war es, dass man dazugehören und nicht herausstechen sollte. Und obwohl er darauf bestand, dass er der konventionellste und mittelmäßigste Mann in ganz Lisvane war, bedeutete gerade das, dass er mehr aus der Gemeinde hervorstach als jeder andere. „Macht uns keine Schande“, sagte er im Restaurant oder im Theater immer zu seiner Familie. Er wäre lieber gestorben, als öffentlich bloßgestellt zu werden.
Zwei Wochen nach seinem Tod hast du das Physikstudium geschmissen und dich beim Royal South Regiment eingeschrieben. Als du in einer Nacht mit Tony Bee im Bett gelandet bist, hast du mit ihm über die Eigenarten deines Vaters gesprochen. Er hat dich dann auf die Ironie in eurem Regimentsmotto aufmerksam gemacht: „Gwell Angau na Chywilydd“ , hat er geflüstert, während er die Hände langsam über die feuchten Kurven deines Körpers wandern ließ. „Der Tod ist besser als Unehre.“
Deine Affäre mit Tony war das Uncharakteristischste, das du je getan hast. Du bist immer noch damit zufrieden, niemand Besonderes zu sein. Guy Wildman war natürlich nicht so, er hatte immer mehr sein wollen. Aber gerade weil er sich stärker bemühte, schien er immer unbedeutender zu werden. Das machte es für die anderen Leute leichter, ihn zu ignorieren. Er wurde nahezu unsichtbar. Bei dir ist es genau umgekehrt. Du bist zufrieden, wenn du der Welt sagen kannst: „Ich bin nur Durchschnitt, an mir ist nichts Besonderes.“ Vielleicht hast du Tony deshalb überzeugt, Wildman auf die Unterwassertrips mitzunehmen. Vielleicht war es aber auch nur eine gute Tarnung für deine Beziehung mit Tony.
Du weißt von all den Jahren, die du bei deinem Vater gewohnt hast, dass man sich, um nicht aufzufallen, Zeit für die kleinen Details nehmen muss. Das Militär erwischt Leute, die Fehler machen, nicht die, die alles richtig machen. Genau wie im richtigen Leben. Du parkst nie auf den Behindertenparkplätzen vor dem Sainsbury’s in Thornhill. Du bringst deinen Einkaufswagen immer in den Laden zurück und nimmst deine Ein-Pfund-Münze mit.
Seit deiner Rückkehr bist du zu Hause geblieben und hast vernünftige Kleidung für die nasse, dunkle Nacht angezogen. Dabei hast du die Gelegenheit genutzt, zu duschen und die Spuren von Blut und Knochen abzuwaschen, die du unabsichtlich über deinem Gesicht und deinen Kleidern verschmiert hast, als du diesen Obdachlosen umgebracht und von ihm gegessen hast. Du hast das selbstverständlich sehr diskret in einer dunklen Gasse getan. Du hattest auch Mitleid und hast ihm deswegen zuerst das Genick gebrochen, damit er keine Schmerzen spüren würde.
Und jetzt, da dieser ungeheure Hunger in dir gestillt ist, bist du in Splott. Du bist sicher, dass dein Spaziergang zu Wildmans Wohnung keinerlei Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird. Du trägst ein grünes Kleid im A-Linien-Schnitt, mittellang, keine Strümpfe und eine blassgrüne Strickjacke aus Baumwolle. Du hast flache Lacklederschuhe mit runder Spitze ausgewählt, um dir im Regen einen festen Stand zu verleihen. Du trägst einen passenden Mantel, deinen liebsten, aus weichem marineblauem Material, das dich in der Dunkelheit fast vollkommen verhüllt. Du hast gewusst, dass sich das Wetter verschlechtern würde, bevor du ausgegangen bist, und wolltest nicht das Risiko eingehen, die Aufmerksamkeit anderer auf dich zu ziehen, indem du einen sperrigen Regenschirm bei dir trägst.
Nicht dass hier viele Leute wären, die dich sehen könnten. Die paar, die auf der Straße unterwegs sind, hasten von einem Unterschlupf zum anderen. Sie achten mehr
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