Torchwood 1: Ein anderes Leben (German Edition)
auf Pfützen als auf Personen. Du gehst unbemerkt die Treppe zu Wildmans Wohnung hinauf. Sogar das Geräusch deiner Schritte wird vom ständigen Rauschen des Regens und dem entfernten Signal eines Zugs übertönt, der weiter östlich in Richtung Tremorfa fährt.
Einmal drinnen, ist es anders. Das Treppenhaus ist groß, und der klopfende Heizkörper ist zu hoch eingestellt, sodass die Fenster beschlagen. Die achteckigen, grünen und gelben Fliesen auf dem Boden sind sogar noch lauter als die Heizung.
Du brauchst kein fotografisches Gedächtnis, um dich an alles zu erinnern. Es braucht nur etwas Übung. Dein Dad hat dich immer erinnert: „Du hast zwei Ohren und einen Mund, Sandra, benutze sie im gleichen Verhältnis.“ Und das hatte sich als richtig erwiesen, seit du zur Army gegangen warst. Es bewahrheitete sich bei Waffenbriefings in Caregan, beim Tauchtraining im offenen Meer oder bei betrunkenen Gesprächen der Jungs über schnelle Autos, langsame Stürmer und leichte Mädchen. Wildman hat dir in der Vergangenheit alles über seinen Wohnort erzählt und die Einrichtung seiner Wohnung sowie die Eigenarten der Nachbarn vor dir ausgebreitet. Natürlich gibt es jetzt nichts mehr über Wildman, das du nicht weißt.
Wildmans Wohnung liegt im zweiten Stock. Die Treppen unter dem verblassten Teppich knarren unter deinem Gewicht. Es gibt keinerlei Lebenszeichen, außer einem zu laut gestellten Radio, in dem die Sonntagsmesse auf BBC Radio 4 läuft. Wildmans direkte Nachbarn auf der gleichen Etage sind John und Marcus, die beide im Club X arbeiten.
Dann gibt es da eine Etage tiefer noch Betty Jenkins, die mit großer Entschlossenheit gar nicht arbeitet. Du weißt alles über Wildmans letzte Begegnungen, Gespräche und Unstimmigkeiten mit ihnen. Erst seit Wildman tot ist, hast du erkannt, wie einsam er wirklich war. Dann erst hast du seinen Beschützerinstinkt gegenüber Betty Jenkins verstanden, seine Frustration über Johns Bindungsunfähigkeit und seine unausgesprochenen Fantasien über Marcus.
Du kannst ruhig, logisch und vernünftig sein, ohne emotionslos zu bleiben. Das traf auch auf deine Beziehung mit Tony zu, wie er dir immer gesagt hatte. Jetzt, da er tot ist, hast du einfach weitergemacht – buchstäblich. Und was eigentlich Trauer sein sollte, ist nicht länger nützlich oder angemessen. Es ist immer noch da, im Hintergrund. Ein merkwürdiges Gefühl, tief unten begraben, verdrängt. Unnötig. Verstehst du es überhaupt noch? Diese Menschen haben ein verwirrendes Netz aus losen sozialen Konstrukten, halbgaren Zuneigungen, unausgesprochenen Wünschen und gelegentlichen Leidenschaften. Erst seit er tot ist, ist dir klar geworden, wie sehr Tony Bee dich geliebt hat. Du kannst diese Gefühle auch leidenschaftslos untersuchen – wie er dich schmerzlich vermisst hat, wenn ihr getrennt wart, wenn er wieder auftauchte, wenn er in die Caregan-Kaserne zurückkehrte. Bis dieser neuere, ursprüngliche Schmerz in seinem Innern das fortgespült hatte.
Schiebe diese Gedanken jetzt beiseite. Du bist aus einem bestimmten Grund hier. Sich von diesen Erinnerungen stören zu lassen, ist ebenfalls sehr menschlich. Und unter anderen Umständen, würdest du das amüsant finden.
Der Schlüssel klickt und dreht sich im Schloss von Wildmans Wohnung, und deine Suche beginnt.
DREIZEHN
Jack ließ Gwen fahren. Sie genoss die Gelegenheit, das Torchwood-SUV zu lenken. Es war ganz anders als ihr Saab. Wenn man zum ersten Mal damit fuhr, fühlte es sich an, als würde man den Wagen vom Oberdeck eines Busses aus steuern. Die Federung war so sanft, dass man damit den Bordstein hoch- und eine Treppe hinunterfahren konnte, ohne einen Tropfen eines Getränks zu verschütten, das man in die Becherhalter auf der Beifahrerseite gestellt hatte. Man könnte wahrscheinlich eine ganze Gruppe Menschen überfahren, ohne einen Stoß zu spüren. Es schadete nicht, das im Hinterkopf zu behalten, wenn man durch das Stadtzentrum raste, um schneller als die Presse an einem Tatort zu sein.
Der Regen prasselte auf das Autodach. Egal wie schnell die Windschutzscheibe mit dem kontinuierlichen Hin und Her des Scheibenwischers vom Wasser befreit wurde, der Blick auf die Straße vor ihnen wurde sofort wieder verschleiert. Es war mitten am Sonntagmorgen, doch der Schauer und die Wolken vermittelten den Eindruck, als wäre gerade erst Sonnenaufgang. Es bestand keine Gefahr, heute aus Versehen Passanten zu überfahren, weil die Straßen fast leer waren. Wer
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