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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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Ausfalltor.«
    Ein merkwürdiger Blick streifte Lucian. War es dieses Tor gewesen, durch das er damals Constantins Männer eingelassen hatte? Er erinnerte sich nicht.
    »Merkt euch: immer nur nach Süden«, wiederholte der Jäger. »Die Wächter auf diesem Abschnitt sind bestochen. Ich liefere Fleisch und einen Teil meiner Pelze bei ihnen ab. Seit Velasco zurück ist, ist die Jagd in den Wäldern rund um Carcassonne streng verboten, aber von irgendetwas müssen wir schließlich leben.«
    Lucian nickte. »Begleite uns«, schlug er vor. »Dann gehörst auch du zu denen, die etwas gegen den Hexer unternehmen.«
    Mit einem traurigen Lächeln schüttelte Diego den Kopf. »Ich will meine Familie nicht in Gefahr bringen. Meiner Frau und den Kindern darf nichts geschehen. Falls ich einfach verschwinden würde …« Er sprach nicht weiter. Sehnsüchtig blickte er in Richtung Ausfalltor.
    Lucian legte ihm die Hand auf die Schulter. »Nimm den Hut ab!«, bat er. »Nur einen Augenblick. Ich will mich an dein Gesicht erinnern, wenn wir weiterziehen.«
    Diegos Lächeln wirkte wieder fröhlicher. Er setzte den Hut ab, presste ihn an die Brust und verneigte sich, als hätte er den jungen Schlossherrn vor sich und nicht einen entflohenen Gefangenen.
    Er ist es wirklich, dachte Lucian. Sein Freund hatte sich mit den Jahren kaum verändert, er war lediglich erwachsen geworden. Dasselbe dichte, helle Haar, strahlende Augen, die im Augenblick allerdings besorgt wirkten.
    Als er nichts sagte, richtete sich Diego wieder auf. Er zögerte kurz, dann umfasste er Lucians Handgelenk. Die Linderung war sofort spürbar. Die Schmerzen ließen nach, auch wenn sich die Wunden nicht schlossen. Lucian seufzte erleichtert auf.
    »Ich bin keine Schattenseele«, betonte der Jäger, an Ravenna gewandt. »Dank Eures Ritters besitze ich meine Gabe noch. Auch wenn das zurzeit ein sehr gefährliches Geschenk ist. Velasco lässt jeden, der über Magie gebietet, in den Kerker werfen. Meine Fähigkeiten sind allerdings nichts im Vergleich zu einem Talent wie dem Euren. Ich bin Dorfheiler, Jäger und Kürschner in einem. Ihr dagegen seid eine Königin unter allen Magiern.«
    Ravenna wurde rot. »Das war ich, bevor mich meine Schwester bestohlen hat«, sagte sie leise. »Vielen Dank, Diego. Danke für alles. Und pass gut auf dich auf.«
    Lucian und der junge Jäger umarmten einander. »Viel Glück«, wünschten sie sich gegenseitig.
    Dann setzte Diego hinzu: »Falls euch unterwegs jemand nach der Wette des Teufels fragt: Ihr könnt ihm ausrichten, dass diese Straßenseite von Carcassonne auf euch gesetzt hat.«
     

 
    Fay ce que voudras
    »Geht das so? Wie sehe ich aus?«
    Yvonne rückte bis an die Kante des gestreiften Diwans und faltete die Hände im Schoß. Sie sah ihre Umgebung nur verschwommen, denn sie hatte einen Tropfen Belladonna in jedes Auge geträufelt. Das Gift weitete die Pupillen, ließ sie groß und geheimnisvoll erscheinen. Wenn sie den Blick auf ihre Hände richtete, saß sie da wie jemand, der völlig zu Unrecht beschuldigt worden war und dennoch würdevoll Haltung bewahrte.
    Das Kaminfeuer im Hintergrund flackerte. Düstere, herrschaftliche Gemälde hingen an den Wänden, Schlossherren aus vergangenen Jahrzehnten. Auf einem Beistelltisch stand ein Strauß weißer Lilien. Yvonne hatte sich so vor die Kamera gesetzt, dass die Blumen im Bild waren. Jede Hexe, die die Ausstrahlung des Interviews später verfolgte, würde die symbolische Bedeutung dieser Blumen verstehen. Lilien – das bedeutete ein reines Gewissen. Weiße Magie. Und einen verräterischen Todesstoß mitten durchs Herz.
    Beliar schwenkte die Kamera ein Stück weiter nach links und prüfte den Bildausschnitt. Zum Glück war er ein Wanderer zwischen den Zeiten, genau wie sie. Er würde das Interview aufzeichnen, um es zu einem passenden Zeitpunkt zu senden. Es war die einzige Gelegenheit, bei der sie vor der Kamera erscheinen sollte. Das hatte er ihr versprochen.
    »Das ist perfekt«, murmelte er, den Blick auf den Monitor geheftet. »Vergiss nicht, dass du so wenig wie möglich lächeln solltest. Am besten verziehst du keine Miene.«
    Yvonne nickte. Kein Schmuck, ein schlichtes Kleid, dessen Ausschnitt die Aufmerksamkeit auf ihre Schlüsselbeine lenkte – der Teufel hatte ihre Garderobe ausgesucht. Beliar wusste wirklich, wie man ein Geständnis inszenierte. »Es macht gar nichts, wenn du Herzklopfen hast«, hatte er ihr beim Betreten des Salons eingeschärft. »Lass die Leute

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