Tore der Zeit: Roman (German Edition)
murmelte Beliar schließlich, als griffe er einen ihrer früheren Gedanken auf. »Wissen Sie, was mir auffällt, Yvonne? Bisher haben wir nur über Weiße Magie gesprochen. Aber wie steht es mit Satanismus? Schadenszauber? Sie wissen schon – den wahren Verbrechen einer Hexe?«
An dieser Stelle sollte Yvonne wieder betroffen auf ihre Hände schauen. Es kostete sie Anstrengung, den Kopf zu senken und betreten zu wirken. Sie schwitzte am ganzen Körper. Das Ziehen im Unterleib hatte wieder eingesetzt. Es war längst wieder Zeit für den Trank und das Bad, die das Einsetzen der Wehen hinauszögerten. Hexenmedizin. Doch wegen des Spektakels und des Interviews hatte sie keine Zeit gehabt, sich darum zu kümmern.
»Diese angeblichen Verbrechen galten lange Zeit als Vorwand, um Hexen vor Gericht zu zerren«, erklärte sie. »Mir ist das sogar selbst einmal passiert. Man hat mich verdächtigt, Schwarzkunst ausgeübt zu haben. Ich musste mich einer Untersuchung unterziehen. Aber das Gericht sprach mich frei.«
Wie eine Verbrecherin hatte Lucian sie behandelt und sie gezwungen, ihm auf den Berg der Sieben zu folgen. Hoffentlich hatte er an diesem Morgen eine Ahnung bekommen, wie sie sich damals gefühlt hatte.
Ihr Blick bohrte sich in Beliars. Sein blanker Schädel glänzte, und er wirkte angespannt. Ein ungewöhnlicher Anblick. Doch es war ein langer Tag gewesen, der um Haaresbreite in einer Katastrophe geendet hätte. Mit der Massenpanik im Schlosshof hatte niemand gerechnet. Es hatte zahlreiche Verletzte gegeben und einen Toten: den Schmied, der so unvorsichtig war, sich in ihrem Tor zu verfangen. Und nun waren Lucian und Ravenna auf der Flucht.
»Ein Freispruch?«, wunderte Beliar sich. »Nun, das ist merkwürdig, denn ich habe gehört, dass die Polizei noch immer gegen Sie ermittelt. Es geht um einen Mordfall im Elsass. Ein schwarzmagischer Zirkel steht unter Verdacht, eine junge Frau umgebracht zu haben. Das ist doch nicht zufällig Ihr Kreis? Immerhin wurde ein Boot mit Pentagrammen beschmiert.«
»Von diesem Vorfall habe ich gehört«, nickte Yvonne. »Eine schreckliche Sache. Die Berichte über diesen Fall klingen absolut furchtbar. Aber das ist es auch schon: eine grauenhafte Geschichte. Mehr nicht.«
Beliar beugte sich vor, ein aufmerksamer, etwas ungläubiger Zuhörer. »Verstehe ich Sie richtig, Yvonne? Wollen Sie behaupten, der Mord an der jungen Hexe sei nie passiert? Erklären Sie mir allen Ernstes, die Ermittler in Straßburg seien einem inszenierten Ritualmord aufgesessen?«
Dieses eine Mal kam ihr Lächeln von Herzen. Yvonne erlaubte sich sogar, den Arm entspannt auf die Lehne des Diwans zu legen. »Aber gewiss«, sagte sie. »Und wissen Sie auch, warum ich mir so sicher bin? Weil das angebliche Mordopfer tatsächlich meinem Zirkel angehörte. Und sie tut es immer noch – nicht wahr, Oriana?«
Den letzten Satz rief sie in Richtung Flur. Die Tür ging auf, und die Fürstin der Luft trat ein, kränklich und bleich wie immer. Aber sie schritt auf einer genau vorgegebenen Bahn zum Diwan und setzte sich zwischen Beliar und seine Gesprächspartnerin, sodass Yvonnes ausgestreckter Arm auf ihren Schultern zu liegen schien.
»Und ob ich das tue,« erklärte Oriana und schaute in die Kamera. Ihr kreideweißes Gesicht sollte jeden Zweifel auslöschen. »Yvonne und ich gehören demselben Geheimbund an. Einem kleinen, ziemlich elitären Club handverlesener Magier. Unsere Loge steht nicht gerne im Rampenlicht. Deshalb nenne ich keine Namen. Doch allein die Tatsache, dass ich hier sitze, sollte Beweis genug sein, dass die Anschuldigungen gegen Yvonne böswillige Unterstellungen sind. Ein Versuch, unseren Zirkel in Verruf zu bringen. Doch wer will schon, dass es wieder zu Hexenjagden kommt?«
»Und cut ! Danke, das war’s! Das sollte für ein Feature reichen«, rief Beliar, während er aufstand. Der Reihe nach schaltete er sämtliche technischen Geräte aus.
Oriana lehnte sich zurück und schaute Yvonne mit einem siegessicheren Lächeln an. »Und? Wie war ich?«, fragte sie. »Du musst zugeben, dass der Auftritt reibungslos geklappt hat.«
»Ja, ganz großartig«, giftete Yvonne. »Wenn man mal davon absieht, dass du auf dem Boot keinen Puls mehr hattest und man dich anschließend ins Wasser warf. Aber was macht das schon? Beliars nekromantische Kunst hat dich schließlich wieder zusammengeflickt.«
»So wie er uns alle wieder zusammengeflickt hat!«, fauchte Oriana. »Uns alle! Oder glaubst du, du bist was
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