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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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Linse war auf sie gerichtet, das Mikrofon mit grauem Fell überzogen. Das Aufnahmelicht blinkte. Zusätzlich war die Kamera wasserdicht in Plastikfolie verpackt. Im Schatten unter den Bäumen dahinter lagen zwei regungslose Gestalten.
    »Scheiße«, murmelte sie. Für die Dauer des Schlafs hatte sie vergessen, dass sie vierundzwanzig Stunden am Tag unter Beobachtung standen – auch im Jahr 1254. Sie massierte sich die Stirn. An ihren Fingern blieb eine weiße Schicht zurück. Reste der Schminke, die Beliar ihr aufgezwungen hatte. Sie kratzte eine Handvoll Schnee zusammen und wusch sich das Gesicht. Ihre Haut brannte, als sie die Hände sinken ließ. Mit einem Zipfel des Mantels trocknete sie sich ab und stand auf.
    Die Bewegung erschreckte die Pferde. Die Tiere schnaubten und zerrten an den Anbindestricken, sodass der Schnee von den Bäumen stäubte.
    »Ruhig«, keuchte Ravenna. »Bleibt ruhig!«
    Die Schimmel und die Arbeitspferde waren abseits des Lagerplatzes angebunden. Jemand hatte ihnen die Sättel abgenommen. Unter den Hufen lagen abgenagte Zweige. Ravenna konnte sich nicht mehr erinnern, wer die Tiere versorgt hatte. Möglicherweise war sie es selbst gewesen. Aber sie war sich nicht sicher, und die Gedächtnislücken verstärkten ihre Angst.
    Sie hatte keine Ahnung, wie Beliar es fertiggebracht hatte, ihre Stute und Lucians Hengst nach Carcassonne zu schaffen. Er wusste jedoch genau, wie er ihnen den entscheidenden Vorteil verschaffte. Den rettenden Vorsprung vor Velascos Soldaten.
    Die Wachposten auf dem Südturm hatten sie entdeckt, noch bevor sie den Zwinger durchquert hatten. Vielleicht hatte Diego sich zu sehr auf seine guten Verbindungen verlassen. Vielleicht hatte Velasco die Männer vorsorglich ausgetauscht. Ihnen blieb keine Zeit, über die Umstände nachzudenken. Ein Pfeilschauer ging über ihnen nieder, während sie zur Ausfallpforte rannten. Schreie hallten durch den Zwinger, und ein lautes Signal ertönte – ein Stoß in ein Horn. Die Jagd war eröffnet.
    In einem Punkt jedoch hatte Diego Recht behalten: Jenseits des Ausfallstors strömte der Fluss, und jenseits des Flusses lag die Freiheit. Felder, Auen und dann die Berge – mächtige, verschneite Höhenzüge. Nachdem sie durch das eiskalte Wasser gewatet waren und den Hang auf der anderen Seite erklommen hatten, wartete dort ein Kamerateam des WizzQuizz auf sie.
    Am liebsten hätte Ravenna die beiden Plagegeister sofort weggeschickt. Aber das Duo hatte Pferde bei sich: eine dicke, braune Stute, die die Ausrüstung trug. Außerdem zwei Warmblüter, einer pummelig und gemütlich, der andere dünn und nervös, genau wie die beiden unerfahrenen Reiter. Das Beste waren jedoch die Hexenpferde. Beim Anblick der beiden Silberschimmel machte ihr Herz einen Satz. Denn nun wusste sie, dass Velascos Schergen sie nicht so schnell einholen würden.
    Es wurde eine halsbrecherische Hetzjagd, ein Ritt, den sie bis ans Ende ihrer Tage nicht mehr vergessen würde. Einmal brach Ghost mit der Hinterhand in einem Eisloch ein und hätte seinen Reiter beinah unter sich begraben. Lucian entging dem Unglück nur mit knapper Not. Irgendwann jagten sie einen Hang hinauf, während die Verfolger nur eine Pferdelänge hinter ihnen waren und mit Armbrüsten auf sie schossen. Ravenna hörte noch immer das Klackklackklack der Bolzen, sah die Rinde von den Bäumen abplatzen. Erst im dichten Wald hatten sie die Soldaten aus Carcassonne abgehängt. Anschließend waren sie die halbe Nacht zwischen Bäumen und Felsen herumgeirrt. Bis sie diesen Lagerplatz fanden.
    Sie zog den Mantel enger um ihre Schultern. Ihre Stute schüttelte sich, sodass die Schnallen an der Ausrüstung klirrend aufeinanderschlugen. Dann schnaubte Willow und senkte den Kopf. Lucians Hengst scharrte im Schnee.
    Die Pferde entspannten sich wieder.
    Auch Ravenna atmete auf. Lautlos ging sie zum Lagerplatz des Filmteams, achtete darauf, nicht auf die knirschenden Schneekrusten zu treten. Einer der beiden Kameraleute schnarchte leise.
    Sie stellte sich vor die Kamera. Zweifelnd blickte sie in die Linse.
    »Hilfe«, flüsterte sie nach einigen Atemzügen. »Keine Ahnung, ob das hier jemand sieht oder ob die Aufnahmen später überhaupt gesendet werden. Aber wenn ihr mich hört: Wir brauchen dringend Hilfe. Lucian ist verletzt. Und damit meine ich: richtig übel verletzt. Er hat nicht bloß einen Kratzer. Seine Hand ist durchbohrt, und zwei seiner Finger sind gebrochen. Wenn die Wunde nicht bald versorgt wird,

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