Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Besseres? Gott, geht mir deine Hochnäsigkeit auf die Nerven. Jeder muss einen Preis zahlen, wenn er zur Runde der Fürsten gehören will. Jeder, hörst du? Wir alle mussten erst etwas geben, bevor unsere wahre Gabe befreit wurde. Terra! Ardor! Mare! So eine Macht entfaltet sich schließlich nicht von selbst.«
Als das Wort Mare fiel, fing das Ungeborene heftig zu strampeln an. Yvonne stöhnte auf und legte die Hände um ihren Bauch. »Deine magische Seele musstest du ihm geben«, zischte sie. »Das ist der Preis, den der Teufel verlangt. Glaubst du etwa, ich wüsste das nicht?«
Mühsam stand sie auf und kehrte den Anwesenden den Rücken. Sie wollte nicht, dass Beliar und Oriana merkten, wie sehr sie dieser Wortwechsel aufwühlte. Es schwächte ihre Stellung in der Runde, wenn ihre Mitstreiter erfuhren, wo ihre wunden Punkte lagen. Und die Frage, was genau sie in Beliars Zirkel geführt hatte, war ein wunder Punkt. Sie fragte sich, ob der Stab Ardor tatsächlich eine gefährliche Kraft enthielt. Ein Gift, das sich durch ihre Adern fraß. Aber wie war es dann möglich, dass sie Lucians Kind bekam?
Während Beliar und Oriana anfingen, die Kamera abzubauen und die Markierungsstreifen vom Teppich zu entfernen, streifte sie ruhelos durch den Salon. Sie schob den Vorhang zur Seite und starrte in den eisigen, sternlosen Nachthimmel. Eine Schleiereule flog am Fenster vorbei, ein gespenstisch weißer Schatten im Schlosshof. Jenseits der Mauer heulten die Wölfe. Irgendwo dort draußen kämpfte sich Ravenna nun durch die Berge.
Schaudernd ließ Yvonne den Vorhang los und wandte sich ab. Sie ging zu dem runden Tisch hinter dem Diwan. Lilien gehörten zu ihren Lieblingsblumen. Sie hatte darauf bestanden, dass Beliar für das Interview welche beschaffte – egal aus welchem Jahrhundert. Die Blumen dufteten verführerisch. Als Yvonne die Stile mit den Händen zusammenraffte, entstanden plötzlich hässliche Adern auf den Blütenkelchen. Binnen Sekunden waren Blätter und Stängel mit fauligen Stellen durchsetzt. Als Yvonne den Strauß erschrocken ins Wasser zurückstieß, tropften die Blüten als schwärzlicher Schlamm auf die Tischplatte.
Sie presste die Hand auf den Mund. Langsam sank sie auf den Diwan zurück, während die anderen den Salon verließen und die Geräte mitnahmen. Niemand achtete darauf, ob sie mitkam.
Die Asche im Kamin wurde kalt. Von den erloschenen Kerzendochten stiegen Rauchfäden auf, die einen scharfen Geruch verbreiteten. Yvonne rührte sich nicht. Sie starrte ins Leere, bemüht, das Entsetzen zu unterdrücken, das ihr Herz zum Rasen brachte.
Sie war zu weit gegangen. Das wusste sie nun. Das beseelte Feuer – Ardor magyca – hatte sie vergiftet. Nun endlich begriff sie, dass es in jener Nacht auf dem Fluss nicht ein Opfer gegeben hatte. Sondern zwei. Eines davon war sie selbst.
Wolfsgesang
Ravenna erwachte mit einem Ruck. Sie bewegte sich so jäh, dass ihr Körper von der Felskante rollte. Lucian griff schlaftrunken nach ihr, konnte ihren Sturz aber nicht mehr aufhalten. Sie plumpste auf ein Bett aus Zweigen, Schneeresten und nassen Blättern, rutschte ein Stück bergab. Hastig krallte sie die Finger in den Erdboden.
Mit einem Ächzen hob sie den Kopf. Etwas hatte sie geweckt. Etwas schlich um das armselige Lager, das sie in der Nacht errichtet hatten. Etwas Bedrohliches .
Sie hielt den Atem an und lauschte. Tropfende Eiszapfen, ein Bach, ein steiler Abhang, Vogelgezwitscher. Sie befanden sich mitten in einem Bannwald. Verfilztes Unterholz wucherte auf der Böschung. Zwischen den Baumstämmen ragten Steine auf. Von einem Pfad war weit und breit nichts zu sehen. Im Grunde genommen war gar nichts zu sehen: Wald erstreckte sich nach allen Seiten.
Ravenna zerrte den Mantel unter ihrem Körper hervor und wickelte sich darin ein. Ihr war jämmerlich kalt. Ihre Knochen schmerzten vom Liegen auf dem harten Felsen. Vor allem aber hatte sie Angst.
Beliar hatte sie im Mittelalter ausgesetzt. Mitten im dreizehnten Jahrhundert hatte er sie vor das Burgtor gejagt, um zu sehen, ob sie zurechtkamen. Die Pyrenäen dieser Zeit waren Wildnis. Ein Grenzgebiet, das von Banditen und wilden Tieren durchstreift wurde. Keine schützenden Burgmauern umgaben sie, kein Graben und kein Tor, das von bewaffneten Soldaten bewacht wurde. Sie waren ganz auf sich allein gestellt.
Als Ravenna sich auf die Knie hochrappelte, fiel ihr Blick auf eine Videokamera auf einem Stativ, die still unter den Bäumen stand. Die
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