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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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war.
    »Wie lange geht das schon so?«, fauchte sie. »Warum sagt mir niemand Bescheid?«
    Thierry machte ein betretenes Gesicht. »Er wollte nicht, dass wir Sie informieren. Wegen Ihrem Streit, nehme ich an. Zeitweise schien er sogar zu überlegen, ob er gleich zurückreiten soll. Er sagte, er wolle in Carcassonne einige Dinge regeln. Aber dann überredeten wir ihn, noch ein Stück mitzukommen.«
    Stumm starrte Ravenna auf die ferne Gestalt, die sich wie eine Spukerscheinung quer zum Abhang bewegte. Ein Geisterreiter auf einem Geisterross.
    »Dinge regeln? Mit Velasco, meint er? Jetzt verliert er wohl völlig den Verstand«, murmelte sie.
    »Ist ein ziemlicher Dickschädel, Ihr Freund«, brummte Thierry. »Ich nehme an, er hat den Umschlag, den ich ihm heute Morgen gab, nicht aufgemacht?«
    »Natürlich nicht«, entgegnete Ravenna. »Aber was spielt das jetzt noch für eine Rolle?«
    Der Kameramann schüttelte den Kopf. »Es spielt eine große Rolle. Es hieß, wir würden entlang der Strecke immer wieder auf Stationen stoßen. Claude und ich sind davon ausgegangen, dass man uns dort versorgt.«
    »Stationen?« In dem dämmrigen, vom Wind durchbrausten Tal klang diese Bemerkung absurd. »Und die Straße da unten? Mit den ganzen Leuten?«, erkundigte Ravenna sich schließlich. »Stehen die etwa auch in Beliars Regieplan?«
    Thierry zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung«, sagte er. »Für mich sieht das aus wie ein Pilgerzug. Ich dachte, Sie wüssten Bescheid.«
    Ravenna wendete das Pferd und starrte auf die Wanderer und Reiter hinab. Ein Pilgerzug. Plötzlich überfiel sie ein schrecklicher Verdacht. War es möglich, dass Beliar all diese Leute wegen ihr ins Gebirge gelockt hatte? Was hatte der Teufel diesen Menschen versprochen?
    Sie schloss die Augen und musterte den Zug durch das dritte Auge. Nichts – außer Dunkelheit und dem Geräusch rastloser Schritte. Auf der Straße waren ausschließlich Schattenseelen unterwegs.
    Ravenna öffnete die Augen wieder. War Beliar wirklich so weit gegangen, den Menschen des dreizehnten Jahrhunderts Hoffnung zu machen? Eine Hoffnung, die sich unmöglich erfüllen ließ?
    Während sie noch darüber nachgrübelte, stieß Claude zu ihnen. Der Tontechniker hielt die in Folie verpackte Kamera vor sich im Sattel, filmte aber nicht. Erschöpft starrte er sie an.
    Sie warteten schweigend, bis auch Lucian endlich näher kam. Er ließ den großen Hengst im Schritt gehen. Ghost kniff die Nüstern zusammen und legte bei stärkeren Windböen die Ohren an. Wassertropfen rannen über seine breite Stirn. Das Pferd war so nass und schlecht gelaunt wie sie alle. Als Lucian die Zügel anzog, schüttelte sich der Silberschimmel, dass der Dreck nach allen Seiten spritzte.
    »Wir werden verfolgt«, erklärte Lucian. »Von mehreren Männern. Sie halten Abstand, lassen sich aber nicht abschütteln. Ich nehme an, es sind Kopfgeldjäger. Wahrscheinlich warten sie nur darauf, dass wir nicht mehr weiterkönnen.«
    Ravenna musterte ihn im abnehmenden Licht. Er sah elend aus. Die verletzte Hand ruhte quer auf dem Sattelhorn. Der notdürftige Verband war vom Regen durchweicht. Blutiges Wasser rann über die Pferdeschulter. Der Anblick ließ sie schaudern.
    »Eine weitere Nacht im Freien überstehen wir nicht«, jammerte Thierry. Wahrscheinlich dachte er dabei an die Aaswölfe.
    Lucian vermied es, Ravenna anzusehen. Spannung knisterte zwischen ihnen wie ein weißglühender Draht, mit dem das Wort Yvonne in die Luft geschrieben schien. Und sie hatten noch nicht einmal eine Minute für sich, um die Angelegenheit auszudiskutieren.
    »Da unten sind Pilger«, informierte Ravenna ihn. »Behauptet zumindest Thierry. Ich habe keine Ahnung, was die Leute hier wollen, aber es sind ziemlich viele. Sie verstopfen die einzige Straße, die wir nehmen können. Den Weg durch diese Schlucht.« Sie dachte an die Wegstrecke, die auf der Karte eingezeichnet war. Die Straße führte über einen Pass zu einem Berg namens Montmago.
    Lucian antwortete nicht. Er trieb sein Pferd ein Stück vorwärts, bis er die vorüberziehenden Massen erblickte. Er beobachtete den Pilgerzug eine Weile. Als er den Hengst schließlich wendete, sagte er Worte, die wie ein elektrischer Schlag durch Ravennas Körper zuckten.
    »Wir trennen uns, Ravenna.«
    Diese Worte belehrten sie darüber, wie wenig genügte, um das Glück eines ganzen Lebens zu zerstören. Manchmal reichte eine einzige, regnerische Sekunde.
    »Wie – du willst mich verlassen? Hier in

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