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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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den Mund, aber die vielen Gedanken, die sie im Stillen gewälzt, die unzähligen Worte, die sie sich sorgfältig zurechtgelegt hatte – nichts davon kam ihr in diesem Augenblick über die Lippen.
    Stumm schaute sie zu, wie Lucian davonritt, halbschräg in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Offenbar wollte er den Weg durch den Wald nehmen, mitten durch das Gebiet der Wölfe. Ravenna starrte ihm durch die Regenschauer hinterher und wusste nicht, was sie tun sollte. Bis ihr plötzlich etwas einfiel.
    Sie presste Willow die Fersen in die Seite und galoppierte über die nasse Wiese hinter dem silbergrauen Schatten des Hengstes her. Als Lucian die Hufschläge hörte, drehte er sich um. Sein Gesicht war bleich und nass, und sie hoffte, dass die feuchten Bahnen nicht nur vom Regen kamen. Sie baute einfach darauf, dass er ein solches Ende genauso wenig wollte wie sie.
    »Da ist noch eine Sache«, rief sie ihm zu, während sie die Stute zügelte. »Der Umschlag, den Thierry dir heute Morgen gab – hast du ihn wirklich nicht aufgemacht?«
    Lucian schüttelte den Kopf.
    »Tu es jetzt«, bat sie und ließ Willow neben ihm halten. »Bevor du eine endgültige Entscheidung triffst, will ich wenigstens wissen, was auf der Karte steht.«
    Der junge Ritter zögerte. Dann ließ er die Zügel los und tastete nach der Schnalle der Satteltasche. Nach einigem Zerren und Ziehen bekam er den nassen Riemen auf und holte den Umschlag hervor. Ravenna hielt den Atem an. Die Kanten glühten, versiegelt durch Magie. Das Ding schrie geradezu danach, dass man es öffnete.
    Lucian schob den linken Daumen unter die Lasche und mühte sich eine Weile. Dann streckte er ihr den Umschlag entgegen. »Ich schaffe es nicht mit einer Hand«, sagte er gereizt.
    Mit klopfendem Herzen nahm Ravenna den Brief entgegen. Sogleich spürte sie ein Prickeln in den Fingerspitzen. Sie und Lucian waren einander so nah, dass sich ihre Knie berührten.
    Sie drehte den Umschlag um und riss ihn auf. Mit bebenden Fingern zog sie die Karte hervor. Dann beugten sie beide sich gleichzeitig vor, um die Schrift im schwachen Licht zu entziffern.
    »Finde den Schmied von Durendal. « Ravenna hob den Kopf und schaute Lucian in die Augen. »Was soll das denn bitte heißen? Haben wir vielleicht Zeit und Nerven für ein Versteckspiel?«
    Zu ihrer Überraschung lachte ihr Ritter leise. »Das glaub ich jetzt nicht«, sagte er. »Hast du den Namen Durendal wirklich noch nie gehört?«
    »Äh … nein«, gestand Ravenna. Dann sog sie scharf den Atem durch die Nase. »Willst du mich etwa auf den Arm nehmen? Du stellst mir eine Quizfrage? Sag bloß, du weißt die Lösung!«
    Lucians Lachen klang noch etwas fröhlicher. »Wo sind eigentlich die Leute vom Film, wenn man sie braucht? Jetzt habe ich die Herausforderin beim WizzQuizz eiskalt erwischt, und niemand kriegt es mit.«
    Tatsächlich waren Claude und Thierry unten am Hang zurückgeblieben. Soeben prüften sie, ob die Aufnahmen gelungen waren. Die Trennungsszene, wie Ravenna sie insgeheim nannte. Das Display leuchtete hell in der Dunkelheit. Sie konnte ihr weißes, vollkommen erstarrtes Gesicht erkennen. Dann folgte ein Schnitt auf Lucian, der düster und verzweifelt wirkte, wie er so im Regen auf seinem Pferd saß. Ihr wurde ganz anders zumute, wenn sie daran dachte, was das Band noch alles enthielt: ihr einsames Flehen am Morgen, als alle anderen noch schliefen. Lucians Kampf gegen die Wölfe und dann den Moment, als sie einander auf der Lichtung umklammerten, während er ihr seinen furchtbaren Verdacht ins Ohr raunte.
    Wie viel davon hatten die Mikrofone aufgenommen?, fragte sie sich und geriet plötzlich in Panik. Sie musste unbedingt verhindern, dass Beliar diese Aufzeichnungen in die Hände bekam.
    »Durendal ist ein berühmtes Schwert aus einem Chanson de geste «, erklärte Lucian inzwischen. »Wir haben dieses Heldenlied an Constantins Hof so oft gehört, dass es allen zum Hals heraushing. Beinah jeder fahrende Sänger gab die Ballade zum Besten, und jedes Mal entbrannten hitzige Diskussionen darüber, warum das sagenhafte Schwert unzerstörbar sei. Ramon behauptete, es liege daran, dass es an einem Drachenzahn geschliffen wurde, und Marvin … keine Sorge, Ravenna! Ich weiß schon, was du sagen willst: Es gibt keine Drachen. Und das weißt du, weil du noch nie welche gesehen hast.«
    Sie blies die Wangen auf. »Hab ich auch nicht. Du etwa?«
    »Die Drachenfrage ist jetzt nicht das Thema«, erwiderte Lucian. »Erkennst du

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