Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Erstaunen schnüffelte er sogar an den Kanten und prüfte die Schärfe der Klinge mit der Zunge.
»Wie ich schon sagte: Vor langer Zeit gehörten diese Berge zum Reich der Hexenkönigin. Bis in Constantins Zeit war das so. Aber dann kamen ein paar abtrünnige Grafen und zogen ihre eigenen Grenzen. Fortan scherte sich niemand mehr um dieses Tor und um die Schmiede. Richtig, Lucian? Wie man hört, ist dein Vater einer dieser Aufständischen.«
»Ihr beide kennt euch?«, stieß Ravenna hervor. Sie bekam große Augen, als Jodok so ungezwungen mit ihrem Ritter sprach.
»Ja, wir kennen uns«, seufzte Lucian. »Constantin schickt jeden jungen Ritter hierher, um sich das eigene Schwert abzuholen. Diese Prüfung muss man bestehen, bevor man in den Orden aufgenommen wird.«
Der Schmied zwinkerte Lucian zu. »Das weiß sie nicht? Wer ist sie? Deine neue Hexe? Was ist nur aus der süßen kleinen Maeve geworden! Wie alt war sie, als ihr damals zu mir kamt? Fünfzehn? Und schon eine ausgewachsene Magierin. Du warst nur wenig älter.«
»Du weißt genau, was aus ihr wurde«, knurrte Lucian. »Velasco hat sie umgebracht, um zu verhindern, dass ich der Ritter einer Hexe werde. Aber er hat nicht mit Ravenna gerechnet. Von der Sache mit meinem Vater weiß sie. Und sie ist trotzdem hier.«
Ravenna schaute Lucian an. Bislang war ihr gar nicht klar gewesen, wie viel es ihm bedeutete, dass sie sich von Velasco weder einschüchtern noch vertreiben ließ. Aber sie wusste, wie viel ihm an Maeve gelegen hatte. Das Mädchen war in seinen Armen gestorben.
»Alles okay?«, fragte sie. »Geht es dir gut?«
Lucian zuckte mit den Achseln, während die Diskokugel unentwegt Lichtsprenkel über sie warf. »Alles bestens. Was ist nun mit dem Schwert, Jodok? Entscheide dich, ob du mir helfen willst. Nur beeil dich damit. Uns läuft die Zeit davon.«
»Noch zwölf Minuten«, bestätigte Ravenna nach einem Blick zur Uhr.
»Eine halbe Ewigkeit«, maulte der Schmied. »Vielleicht verrätst du mir, wie ihr das immer wieder fertigbringt?« Anklagend streckte er Lucian Spitze und Mittelteil der Schwertklinge entgegen.
»Es war ein verfluchter Kristall«, entgegnete der junge Ritter. »Terra magyca. Davon hast du doch sicher schon gehört? Angeblich besitzt der Stein genug Macht, um Berge zerbersten zu lassen und einen Spalt durchs Flachland zu treiben bis hinunter ans Meer. Eine Schwertklinge ist nichts im Vergleich dazu. Sag mir lieber, ob du meine Waffe wieder reparieren kannst.«
Jodok spuckte den Strohhalm aus und fing an, an seiner Unterlippe zu nagen.
»Kommt darauf an, was du bezahlen kannst«, nuschelte er. »Terra magyca – mhm. Ich frag lieber nicht, wer den Kristall derzeit besitzt, denn ich schätze, mir wird die Antwort nicht gefallen. Also, deine Klinge zu richten wird nicht gerade billig. Wenn ich bedenke, wie viel Kraft mich jeder Schlag auf den Amboss kostet, dazu noch Feuerholz, Kohle, Material und ein anderer Auftrag, der inzwischen liegenbleibt … sagen wir, drei Silberstücke, und wir sind quitt.«
»Drei Silberstücke! Woher soll ich denn so viel Geld nehmen?« Lucian klang bestürzt.
Ravennas Zuversicht, die trotz der tückisch glitzernden Kugel über ihren Köpfen zugenommen hatte, sank nun wieder in sich zusammen. Plötzlich mussten sie sich mit demselben leidigen Problem herumschlagen, das ihnen schon in Paris das Leben schwergemacht hatte: Sie und Lucian waren vollkommen bankrott. Pleite, mittellos, blank bis auf die Naht in ihren Taschen – und das galt auch nach den Maßstäben des Mittelalters.
»Wir haben ganz brauchbare Pferde«, schlug sie vor und dachte dabei an die dicke braune Stute, die die Ausrüstung des Kamerateams trug. Dieses Tier konnten sie am ehesten entbehren. Ohnehin schaffte die Stute den Weg durch die Berge kaum noch. »Oder meinen Pelzmantel. Meinetwegen auch diese Taucheruhr – wir tauschen alles, was du willst. Nur bitte schick uns nicht weg, ohne dass Lucian sein Schwert zurückbekommt.«
Der Schmied schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf, während er gleichzeitig die Teile der Klinge verlockend dicht ans Feuer schob. »Zahlt in Münzen oder zieht weiter, bis ihr einen Hohlkopf findet, der umsonst für euch arbeitet.«
»Jodok«, flehte Lucian. »Niemand kann dieses Schwert richten außer dir. Das weißt du genau. Und mir bleiben nur noch wenige Minuten.«
»Um genau zu sein: neuneinhalb«, warf Ravenna ein.
»Du hättest eben besser auf die Klinge aufpassen sollen, Herr
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