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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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Speicherchip mit den Aufnahmen des Filmteams steckte in ihrer Manteltasche und streifte bei jeder Bewegung über ihr Bein. Dünner, glatter Stoff und feiner Pelz – sie hatte nicht viele Möglichkeiten, einen fingerlangen Gegenstand verschwinden zu lassen.
    Mit abgewandtem Blick ging sie an Yvonne vorbei und ließ den Sack mit deutlich hörbarem Klimpern auf die Arbeitsfläche fallen. Es war definitiv nicht das ganze Honorar für ihren Auftritt bei Vanessa. Vadym hatte den Großteil des Geldes für sich behalten. Aber es war eine fürstliche Entlohnung für den Schmied.
    Jodok hob kurz den Kopf und nickte ihr zu. Anschließend wandte er sich wieder dem weiß glühenden Schwert zu. Unter seinen Hammerschlägen fielen Metallspäne zu Boden, deren Farbe von orange zu tiefrot wechselte. Zuletzt wurden sie dunkel und unsichtbar. Wie Zuneigung, die plötzlich abkühlt, dachte Ravenna, während sie auf die Stelle starrte. Wie Liebe, die in einem schwarzen Loch verschwindet.
    »Ich rede von den Aufnahmen des heutigen Tages«, erklärte Yvonne dicht hinter ihr. »Thierry hat uns erzählt, dass du die Karte diskret beiseiteschaffen wolltest. Also wirklich, Ravenna! Sollen wir etwa nicht erfahren, was ihr auf dem heutigen Ritt erlebt habt?«
    Ravenna hob den Kopf. »Warum tust du das?«, fragte sie. Plötzlich war sie sich absolut sicher, dass man sie aus der albernen Glitzerkugel heraus filmte. »Warum quälst du mich so?«
    Yvonne hob die Augenbrauen. »Ich schätze, auf dem Weg hierher ist wirklich etwas Bemerkenswertes vorgefallen, sonst wärst du nicht in dieser Stimmung. Gib mir doch einfach die Speicherkarte. Dann sind wir fertig für heute.«
    »Nein. Wir sind noch lange nicht fertig!«, fauchte Ravenna. Wut stieg in ihr auf, heiß wie das Eisen in Jodoks Esse. Sie grub die Faust in die Manteltasche und schloss die Finger um den Chip. Sie war auf keinen Fall bereit, die Speicherkarte herzugeben und sich und Lucian vor aller Welt bloßzustellen – selbst wenn das bedeutete, dass sie die Aufnahmen vernichten musste. »Warum tust du mir das an? Was um alles in der Welt habe ich dir eigentlich getan?«
    Yvonne zuckte die Achseln. Sie musterten einander, während der Hammer auf den Amboss gellte. Die Wände warfen den Schall zurück. Die Diskokugel drehte sich und spiegelte winzige Facetten aus dem Raum unter der Esse: fliegende Funken. Den Ausschnitt einer Augenbraue und einer Ohrmuschel. Den mit Schlamm getränkten Saum von Ravennas Kleid. Splitter – mehr war nicht zu erkennen. Mehr ist von unserer Schwesternliebe nicht übrig geblieben, dachte Ravenna. Als sie merkte, dass sie zu der Kugel emporstarrte, wandte sie das Gesicht ab.
    »In Wahrheit hast du doch gar nicht nach mir gesucht«, sagte Yvonne endlich. Ihr kalter Tonfall ließ Ravenna zurückweichen. Wasser zischte auf glühendem Eisen, als Jodok die Klinge in einen Kübel tauchte.
    »Das ganze Gequatsche von Kraftorten und der Suche nach mir – Blödsinn!«, fuhr Yvonne fort. »In Wahrheit wolltest du bloß ein Tor finden, um ins Mittelalter zurückzukehren. Deine erste Reise zu den Hexen war dir offenbar nicht genug. Du wolltest mehr. Mehr Wissen. Mehr Macht. Mehr – Magie!« Das letzte Wort schrie sie förmlich heraus.
    Verzweifelt sog Ravenna den Atem ein. »Natürlich wollte ich ein Tor finden!«, erwiderte sie. »Aber doch nicht für mich – sondern für Lucian! Er hat seine Freunde, sein Zuhause, sein ganzes Leben zurückgelassen, um mich ins einundzwanzigste Jahrhundert zu begleiten. Was hätte ich ihm denn sagen sollen? Sorry, tut mir leid, aber das letzte Portal war eine Sackgasse? Für dich gibt es keinen Weg zurück, also sieh zu, wie du hier klarkommst? Ohne Geld, ohne Geburtsurkunde, ohne eine Ahnung, wie diese Welt funktioniert? Ich habe ihm versprochen, dass er Ramon und die anderen eines Tages wiedersieht.«
    »Versprochen! Ach Gott!« Ironisch schlug Yvonne die Hände zusammen. »Mit Versprechungen warst du schon immer schnell bei der Hand. Weißt du noch, was du mir versprochen hast, als ich damals in Straßburg bei dir einzog? Du würdest nie vergessen, was ich für dich getan habe. Niemals! Aber dann bist du durch dieses Tor getreten und hast alles zerstört. Alles, hörst du?«
    Ravenna fröstelte. Trotz der Hitze, die das Feuer verbreitete, wurde ihr kalt. In Yvonnes Gesicht gab es nichts mehr, das sie an ihre Schwester erinnerte – an die fröhliche, etwas eigenwillige junge Frau, die sie früher gewesen war. Vor ihr stand eine kalt

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