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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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frierend neben Jodok stand.
    Der Schmied nickte. Mit einem Lumpen und einer Paste aus weißem Sand polierte er die Klinge. Der Schwertstahl wies nun einen rauchigen Schimmer auf. Die Schneide sah verboten scharf aus. Dreifache Spiralen rankten über jenen Bereich dicht unter dem Griff, den der Schmied nicht geschliffen hatte – die so genannte Fehlschärfe.
    »Es ist wunderschön geworden. Ich wünschte nur, Lucian würde es nie brauchen«, murmelte Ravenna.
    Mit einer fließenden Bewegung schob der Schmied die Waffe in die Scheide. »Es heißt von jetzt an Cor«, sagte er. »Gib es Lucian und sag ihm das – er weiß dann schon Bescheid.«
    Ravenna nahm die Waffe in Empfang. Jodok wischte sich die Finger an dem Lumpen ab. Dann stopfte er das Säckchen mit dem Geld in seine Tasche. Als er merkte, dass Ravenna zögernd dastand, schaute er sie an.
    »Wäre nett, wenn du mich jetzt wieder entlässt«, brummte er. »Ich habe in meinem Jahrhundert noch eine Menge zu erledigen. Hierher komme ich wirklich nur, wenn man mich ruft.«
    Sie nickte. Dann ging sie zu der Feuerstelle und streckte die Hände über die Flammen. Von der Speicherkarte war nur ein schwärzliches, Fäden ziehendes Knäuel übrig geblieben, so widerlich wie eine verkohlte Spinne. Als sie die Augen schloss, zogen die Ereignisse dieses Abends wie ein seltsamer Film an ihr vorüber – Yvonnes wutverzerrtes Gesicht, ihr lauter Streit und das Gerangel an der Esse, dann die zerplatzende Spiegelkugel und ihr Aufprall auf der Wand. Sie zuckte noch einmal zusammen, als sie den Nachhall des Schmerzes spürte. Dann sah sie Yvonnes gekrümmte Gestalt aus der Schmiede fliehen.
    Sie holte tief Atem. » Fyr – slæpanier !«, befahl sie.
    Sie wartete, bis das Knistern und Fauchen der Flammen aufgehört hatten. Als sie nur noch den Wind hörte, schlug sie die Augen auf.
    Sie stand allein in der dunklen Schmiede. Das einzige Licht fiel durch das windumbrauste Loch oben im Turm. Es wurde von tausend kleinen Spiegelplättchen auf dem Boden zurückgeworfen, sodass Ravenna plötzlich nicht mehr wusste, wo oben oder unten war. Sinken oder an die Oberfläche treiben – genauso war das Gefühl in einem Tor.
    Fröstelnd schlang sie die Arme um das Schwert. Die Spiegelscherben knirschten unter ihren Sohlen, als sie zum Ausgang ging.
    »Morgen«, flüsterte sie in die Stille, die seit mehr als fünfhundert Jahren anzudauern schien. »Morgen, Beliar. Bei Tagesanbruch werde ich dir die passende Antwort geben. Und dann werden wir ja sehen, wer das Duell der Zauberer gewinnt.«
     

 
    Der Graue Löwe
    Der Ofen war ausgegangen, die Luft roch schwach nach Rauch. Die Bank unter dem Fenster war unbequem, und die Kettenglieder der Rüstung drückten sich trotz der gepolsterten Unterkleidung in die Haut. Besonders unangenehm war es an der Schulter, an der er das Teufelsmal trug. Die Narbe.
    Lucian erfasste all diese Kleinigkeiten, bevor ihm bewusst wurde, dass er wach war.
    Fremde bewegten sich in seiner Nähe. Sie redeten leise miteinander, husteten oder lachten gedämpft. Mit einem Ruck richtete er sich auf. Sonnenlicht fiel in die Stube. Sein erster Blick galt Ravenna. Sie schlief im Sitzen, an die Bank gelehnt, beide Arme um das Schwert geschlungen. Ihr Gesicht war mit getrocknetem Schlamm gesprenkelt. Ihre Haare kringelten sich über dem Pelzkragen. Rings um den Saum des Kleids lief ein welliger, brauner Rand. Aber sie hatte es geschafft. Sie hatte den Wettlauf mit der Zeit gewonnen und sein Schwert aus der Esse des Schmieds geholt.
    Mit einem Aufatmen sank er zurück. Er fand keine Worte, um die Gefühle zu beschreiben, die ihn in diesem Augenblick bewegten. Sie lebten eine amour fou, eine Liebe, die auch nach den Maßstäben des Mittelalters vollkommen verrückt war. Sein bester Freund hatte ihn davor gewarnt, sich mit der schönen Hexe aus der Zukunft einzulassen. Eindringlich hatte Ramon ihn an all die unglücklichen Ritter erinnert, die einer unerreichbar fernen Dame verfallen waren. Aber Ravenna war nicht unerreichbar. Sie saß hier, eine Armlänge neben ihm, weil sie sich für den Weg an seiner Seite entschieden hatte. Das war mehr, weitaus mehr, als er – der Sohn eines Schwarzmagiers – erhoffen durfte.
    Vom Ofen erklang lautes Lachen. Vadym und seine Freunde hatten sich um den Tisch versammelt. Offenbar studierten sie die magische Landkarte und berieten, wie der Tag verlaufen sollte.
    Lucian ächzte leise, als er sich aufsetzte. Seine Arme und Beine fühlten sich

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