Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
Vom Netzwerk:
nach vorne gesprochen wurden, begriff Ravenna plötzlich, doch da war es bereits zu spät. Denn diesmal handelte es sich nicht um die hilflose Verwünschung einer neuzeitlichen Teenie-Hexe, die ihre Zeit mit ein paar Kiffern am Seinekanal totschlug.
    Es war der Fluch der Feuerfürstin. Und er traf sie mit voller Wucht.
    Eine Blase aus heißem, wirbelndem Gas stieg aus der Esse auf. Als sie die Diskokugel erreichte, schwoll diese in Sekundenschnelle an – und dann platzte sie mit einem ohrenbetäubenden Knall auseinander. Tausende glitzernder Spiegelfetzen flogen durch die Schmiede. Ravenna schaffte es gerade noch, die Arme schützend vor das Gesicht zu reißen – dann erfasste sie die Druckwelle. Yvonnes ganze Enttäuschung und Wut, ihr Zorn über die vielen verkorksten Beziehungen und ihr Entsetzen über das Kind, das sie nie gewollt hatte, ballten sich in diesem Fluch. Er schleuderte Ravenna durch den Raum, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand prallte. Wäre dort ein Haken oder ein Nagel hervorgestanden – er hätte sie durchbohrt. Anschließend stürzte sie zwischen Pikenschäften und Hellebarden zu Boden. Stumpfe Schwertrohlinge fielen um und begruben sie mit Getöse unter sich. Ein Helm rollte von der Werkbank, krachte auf den Boden. Die Schnüre, an denen Jodok die Kettenglieder aufbewahrte, barsten. Die Riemen knallten wie Peitschen durch den Raum, die Stahlringe wie Geschosse verschießend.
    Der Schmied fluchte und ging hastig in Deckung. Ravenna kroch unter den Lanzenschäften und Rüstungsteilen hervor. Fast erwartete sie einen weiteren Angriff, aber zu ihrer Überraschung floh Yvonne zur Tür. Mit schmerzverzerrtem Gesicht krallte sie eine Hand um ihren Bauch und tastete nach dem Türrahmen. Dann war sie verschwunden.
    Torkelnd kam Ravenna auf die Füße. Ihre Rippen schmerzten so stark, dass sie keine Luft bekam. Angst wallte in ihr empor – stärker als alles andere. Sie humpelte zur Tür der Schmiede.
    »Yvonne! Um Himmels willen – bleib stehen! Es tut mir leid, hörst du? Ich wollte dir nicht weh tun. Ich hatte einfach nur Panik. Lass dir doch endlich helfen!«
    Aber ihre Schwester stolperte bereits über den schlammigen Hof. Sie hielt den Arm quer vor das Gesicht, um sich vor dem strömenden Regen zu schützen. Einige Personen außerhalb des Bannkreises, den die vielen Feuer um das Gehöft zogen, erwarteten sie.
    »Yvonne!«, schrie Ravenna. Sie ahnte, wer dort jenseits von Rauch und Flammen stand. Es versetzte ihr einen Stich, dass ihre Schwester die Gesellschaft des Teufels vorzog.
    Fremde Helfer nahmen Yvonne in Empfang. Sie wehrte alle Hände ab, aber dann sprach Beliar offenbar ein Machtwort. Sie musste zulassen, dass ihr jemand eine Decke um die Schultern legte und sie wegführte.
    Mit hängenden Armen stand Ravenna da und beobachtete das Schattentheater. Regen prasselte auf ihren Kopf und ihre Schultern und verwandelte ihr Haar in triefende Strähnen. Jeder Atemzug schmerzte, besonders an der Seite, mit der sie gegen die Mauer geprallt war. Sie fühlte sich zerschlagen, besiegt – und schrecklich schuldig. Denn allmählich begann sie zu verstehen, was sie versäumt hatte: Sie hätte Yvonne viel früher zuhören sollen. Sie hätte herausfinden sollen, was mit ihrer Schwester los war, lange bevor sie in die Fänge dieser Verbrecher geriet.
    Schemenhafte Gestalten blieben hinter dem Scheiterhaufen stehen. Vermutlich dienten die Feuer dazu, den Hof der Schmiede zu überwachen. Nicht einmal eine Ratte konnte unbemerkt von der Scheune zur Türschwelle huschen – so stellte Beliar sicher, dass niemand in der Nacht unbemerkt entkam.
    Vielleicht hatte der Graf de Barca doch nicht gelogen, überlegte Ravenna. Vielleicht verhinderten seine Bogenschützen in diesem Augenblick tatsächlich, dass Velasco aus einem Hinterhalt hervorstürmte und sie gefangen nahm. Sicher träumte der Hexer davon, ihr weh zu tun, und sei es nur, um Lucian in den Wahnsinn zu treiben.
    »Sagen Sie Monsieur Le Malin, dass ich die Antwort weiß«, rief sie den stummen Beobachtern zu. »Beliar, wenn du mich hörst: Ich kann die Aufgabe lösen. Gleich morgen früh, wenn wir uns alle wieder beruhigt haben, komme ich zu euch rüber. Pass inzwischen gut auf meine Schwester auf! Denn wenn Yvonne etwas zustößt, wirst du bereuen, dass du dir ausgerechnet mich für deine Spielchen ausgesucht hast.«
    Nach diesen Worten drehte sie sich um und ging in den Turm zurück. »Ist das Schwert fertig?«, fragte sie, als sie nass und

Weitere Kostenlose Bücher