Tore der Zeit: Roman (German Edition)
– wie Wegelagerer, die einer ahnungslosen Reisegruppe auflauerten.
»Du übergibst mir das, was in dem alchemistischen Kästchen war«, verlangte er. »Du weißt schon: den Chauptpreis der zweiten Runde. Was immer es ist – ich will es!«
Verstohlen warf Ravenna einen Blick auf die tickende Uhr in ihrer Hand. Ihr blieben noch zweiundzwanzig Sekunden. Plötzlich pochte ihr Herz so schnell, wie der Zeiger weitersprang.
»Einverstanden«, stieß sie hervor. Sie griff in den Umhang, holte die zusammengerollte Landkarte heraus und warf sie Vadym in den Schoß. Der Magier griff danach, verlor jedoch das Gleichgewicht und stürzte mit dem Stuhl beinah hintenüber. Während er noch mit den Armen ruderte, fingen seine Freunde zu lachen an. Die fremden Ritter blickten finster drein. Mit einem lauten Knall landeten die Stuhlbeine auf den Dielen, und Vadyms dreckige Stiefel rutschten vom Tisch.
»Gib mir das Geld, um das Lucian dich gebeten hat. Sofort«, stieß Ravenna hervor.
Vadym schnippte ein drittes Mal mit den Fingern und zeigte lässig auf sie. Noch ahnte er nicht, dass ihm die Landkarte genauso viel nützen würde wie ihr: nämlich gar nichts. Das Pergament enthielt eine schier unlösbare Aufgabe und bot nicht den geringsten Hinweis, wie sie das Problem angehen sollten.
Der junge, rothaarige Magier – Vasily – brachte ihr ein Säckchen, das höchstens einen Bruchteil der Beute aus dem Pariser Hotel enthielt. Ravenna schnappte den Sack, machte auf dem Absatz kehrt und rannte hinaus in den Regen.
Keiner der feindlichen Ritter hielt sie auf – auch keiner der Männer, die sich unter dem tief herabgezogenen Dach des Hauses versteckt hatten und jetzt hinter aufgestapelten Säcken und Fässern hervorkamen. Wächter über die Schmiede, die sie wegen der Dunkelheit bei ihrem Eintreffen nicht bemerkt hatten. Die beiden Filmemacher schrien ihr verblüffte Fragen hinterher. Sie gab keine Antwort, warf Claude nur hektisch die Uhr zu. Als ihre Begleiter begriffen, dass sie endlich in die Stube durften, drängten sie hastig ins Warme.
Ravenna rannte über den Hof und zählte die Sekunden, geblendet vom Flammenschein und vom Regen, der in grellen Strichen vom Himmel fiel. Falls sich oben auf der Straße noch Zuschauer befanden, waren sie nicht zu erkennen. Die ganze Welt bestand aus dem von Pfützen übersäten Hof, dem qualmenden Kohlemeiler, dem Turm der Schmiede und den Scheiterhaufen, die Beliar hatte anzünden lassen.
»Jodok! Ich komme! Und ich habe das Geld dabei!«, schrie sie. Mit beiden Händen stieß sie die Gittertür der Schmiede auf, den Geldsack unter einen Arm geklemmt. Sie roch das Feuer, bevor sie es glühen sah. Die Diskokugel funkelte lautlos, ein absurdes Glitzern zwischen Rauchschwaden.
Hammerschläge klirrten in der Schmiede. Jodok bearbeitete die zusammengefügte Klinge bereits, drehte sie immer wieder ins Licht und prüfte die Schneiden. Das Feuer röhrte in der Esse, ein Funkengestöber umgab den geisterhaften Schmied.
»Und da kommt sie – keinen Augenblick zu früh! Bei diesem Paukenschlag ist es Ravenna gelungen, das Rätsel der magischen Schmiede zu lösen«, sagte eine Stimme aus dem rauchigen Halbdunkel.
Ravenna erstarrte. Nur ihr Pulsschlag raste weiter. Es war eine weibliche Stimme, eine Stimme, die sie selbst aus dem Geschrei von tausend Pilgern herausgehört hätte. Langsam drehte sie sich um.
»Yvonne«, flüsterte sie.
Ihre Schwester saß auf der Werkbank und ließ die Beine herabbaumeln. Ravenna schluckte, als sie feststellen musste, dass sie abermals die Rollen getauscht hatten, wie schon öfter in ihrem Leben. Yvonne trug einen eleganten Reitrock und einen olivgrünen Mantel mit einem Kragen aus Fuchsfell. Wie eine Dame, die zur Jagd ausreitet, dachte Ravenna. Der Mantel verbarg ihren Zustand recht gut. In den Händen hielt sie den Stab aus Elfenbein. Ardor magyca. Die zauberische Flamme.
»Was soll das?«, fauchte Ravenna. »Was willst du denn hier?«
»Sagen wir: Ich habe die Gelegenheit beim Schopf gepackt«, sagte Yvonne. »Wieso sollst nur du dich auf diesem Ritt vergnügen?« Sie rutschte von der Bank herunter und ging auf Ravenna zu. »Aber keine Sorge, Schwesterherz: Ich bleibe im Hintergrund, so lange, bis wir am Ziel sind. Und jetzt gib Jodok das Geld und mir die Speicherkarte.«
»Was denn für eine Karte?«, brummte Ravenna.
Sie war eine schlechte Lügnerin. Ihre unsichere Stimme und die hektischen roten Flecken auf ihren Wangen verrieten sie. Der
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