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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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dir etwas zeigen.«
    Die Sieben bildeten einen Kreis um sie. Plötzlich tauchten in den Händen ihrer Freundinnen Athame auf – Hexendolche. Die Klingen zeigten auf sie. Die Lippen der Magierinnen bewegten sich im Gleichklang. Eislicht flammte an den Spitzen der Dolche auf. Die Fäden vereinigten sich zu einem Geflecht, und der Himmel wölbte sich wie ein tiefvioletter Gewitterdom.
    Die Haare peitschten Ravenna ins Gesicht. Norani berührte sie an der Stirn, legte den Finger auf das dritte Auge.
    »Sieh!«, rief sie in den Sturm, der plötzlich über den Reitern toste. »Wirf einen Blick in die Zukunft!«
    Eine Flut von Visionen strömte auf Ravenna ein. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie erkannte sich selbst, wie sie der Schwarzen Magie immer mehr verfiel. Es waren hässliche Szenen, Bilder von Manipulation und Habgier, von Rachegelüsten und billigem Verlangen. All die schlechten Eigenschaften, die sie insgeheim an sich selbst verabscheute, wurden ihr in einem Zerrspiegel vorgeführt.
    Sie tat Lucian weh. Durch ihre Eifersucht verletzte sie ihn mehr, als sie sich vorstellen konnte. Gleichzeitig erreichte sie alles, wovon sie geträumt hatte, erlangte Geld, Ruhm und ein sorgenfreies Leben. Unbegrenzten Zugriff auf die glitzernden Auslagen der Champs-Élysées.
    Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie stark die Verlockungen von Reichtum und Macht auf sie wirkten. Eine halbe Million Euro waren ein Vermögen, das sie sich kaum vorstellen konnte. Doch mit Magie spielt man nicht, dachte sie. Die Warnungen des Grauen Löwen dröhnten ihr unheilvoll in den Ohren. Der Graf de Barca wusste, wovon er sprach. Er hatte seine Tochter im Kampf gegen die schwarzen Hexer verloren.
    »Genug«, keuchte Ravenna und versuchte sich Noranis Griff zu entziehen. »Ich habe genug gesehen. Ich habe kapiert, was ihr mir sagen wollt.«
    Doch die Wüstenhexe ließ nicht locker. Sie packte Ravenna am Handgelenk und zwang sie, auch die letzte Vision zu betrachten.
    In diesem Wachtraum schritt sie durch einen Säulengang. Sie näherte sich einer schwarzgekleideten Gestalt, die am Ende der Wandelhalle auf sie wartete, das Gesicht dem schwefeligen Licht des Sonnenuntergangs zugewandt.
    Ein Schauer kroch Ravenna über den Rücken. Die hagere Gestalt kam ihr bekannt vor. Die schwarze Hexe war mager wie ein Fakir. Die Gelenke bildeten Knoten unter der Haut, der Kopf glich einem Totenschädel. Das Haar hing in Strähnen herab, und ein Kranz aus verwelkten Malven hing schief auf dem mottenzerfressenen Schleier.
    »Elinor?«, flüsterte sie. Die Marquise vom Hœnkungsberg, die Widersacherin der Sieben: Zuletzt hatte Ravenna sie in ihrem zerstörten Burggarten gesehen.
    Die schwarzgekleidete Hexe hörte ihr Wispern. Sie wirbelte herum, wobei sich Schleier und Gewänder wie Spinnweben blähten.
    Ravenna entfuhr ein Schrei. Denn die hagere Hexe unter dem Torbogen war nicht Elinor. Sie selbst war es, ausgezehrt, verhärmt und mit einem bösen Glanz in den Augen. Mit einem Mund voller Essig. Aber sie starrte unverkennbar in ihr eigenes Gesicht, eine Fratze aus Enttäuschung und Bitterkeit.
    Sie schrie und schlug mit den Armen um sich. Fiel oder träumte, dass sie fiel. Sie erwachte davon, dass Lucian und Ramon sie an den Armen packten und sanft zurück in den Sattel gleiten ließen.
    Sie zitterte am ganzen Körper. Das Kleid klebte schweißnass an ihrem Rücken, und ihr Herz hämmerte so schnell, dass sie keine Luft bekam. Eine Warnung, hatte Norani gesagt. Doch das war viel mehr als eine Warnung. Es war eine Horrorvision.
    »Denk immer daran, wenn die Verlockung zu groß wird«, schärfte ihr die Wüstenhexe ein. Norani musterte sie aus ihren rätselhaften Katzenaugen. »Schwarze Magie lässt sich scheinbar so leicht anwenden. Doch sie fordert ihren Preis. Du wirst dafür bezahlen. Immer, Ravenna. Vergiss das nicht.«
    Dann nickte sie den anderen Hexen zu. »Ich denke, sie hat es begriffen.«
    Die Sieben steckten die Athame fort. Der Sturm brach ab, das violette Gewitterlicht verschwand.
    »Es kann losgehen«, rief Ramon den anderen Reitern zu. Er schwenkte den Arm. »Es wird Zeit für das Rennen!«
    Sie näherten sich dem Menschenauflauf in raschem Trab. Die Sieben blieben dicht beisammen, mit ihr und Lucian an der Spitze. Ein schillernder Haufen waren sie, abgerissen und großartig. Und eine schrecklich kleine Gruppe in diesem Meer von Menschen – ein Handvoll Hexen, ein paar Ritter und ein Kamerateam.
    Die Leute am Rand der Menge wichen vor ihnen

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