Tore der Zeit: Roman (German Edition)
er dankbar oder sauer auf sie war, weil sie sich in den Kampf gegen die Soldaten seines Vaters eingemischt und ihn davor bewahrt hatte, sein Geheimnis preiszugeben.
»Das weißt du bereits. Die Sieben wollen, dass wir vorausreiten«, sagte er. »Wir beide.«
»Ach – wollen sie das?«, stieß sie heiser hervor. »Wir sollen also unser Leben in diesem Hexenkessel riskieren. Und wofür?«
Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie waren vielleicht zwanzig Reiter – gegen zwanzigtausend Zuschauer oder mehr. Sieben Hexen gegen unzählige Abenteurer und Glücksritter, mordlustige Banditen und gutgläubige Schattenseelen, die auf den Abglanz der Magie hofften.
»Du hast dich auf dieses Spiel eingelassen.« Constantin tauchte an ihrer Seite auf, in seiner ganzen zerzausten Pracht. Der König der Herumtreiber und Vagabunden. »Lucian erklärte uns, dass du dich vertraglich an gewisse Regeln gebunden hast. Ich verstehe zwar nicht ganz, worum es bei dieser Herausforderung geht. Aber mir scheint, nur du kannst beenden, was du begonnen hast.«
Ravenna schluckte trocken und merkte, dass sie irgendwie gehofft hatte, dass die Sieben sie nach den Ereignissen auf dem Hohlweg vom Rennen ausschließen würden. Es wäre ein willkommener Grund zum Aufgeben gewesen. Doch weit gefehlt – die Hexen schickten sie mitten ins Chaos hinein.
»Und was soll ich bitte schön tun?«, fragte sie. »Ich schaffe das nicht. Versteht ihr das denn nicht?«
»Begreifst du es denn noch immer nicht?« Das kam von Norani. Die Wüstenmagierin tauchte an ihrer anderen Seite auf, eine Schönheit mit smaragdgrünen Augen, die Ravenna unter dem Schatten der Kapuze heraus anfunkelten. »Du bist die Tormeisterin. Wenn es dir nicht gelingt, dieses Ding zu schließen, dann ist es vorbei. Dann wird Beliar das Spiel gewinnen und unseren Zirkel vernichten.«
Ravenna drehte sich im Sattel um und musterte ihre Freunde. Hohlwangige Gesichter starrten unter dem Schatten der Kapuzen zurück. Unrasierte Männer und unausgeschlafene Frauen. Ein Königreich auf der Flucht.
Sie blickte ihren Ritter an. Auch Lucians Miene war bleich und starr. Er hat Angst, erkannte sie erschrocken. Sie hatte selten erlebt, dass sich ihr Ritter fürchtete.
»Was sagst du dazu?«, fragte sie. »Willst du diesen Wettkampf wirklich fortsetzen? Das Spiel gegen den Teufel?«
»Was glaubst du wohl?«, murmelte Lucian. »Natürlich nicht. Aber du hast gehört, was der König von uns verlangt. Constantin befiehlt uns, dieses Rennen zu reiten. Ich kann nicht dagegen protestieren, verstehst du das? Diese Möglichkeit habe ich nicht.«
»Nein«, platzte sie heraus. »Ich verstehe die verdrehten Regeln deines Ordens nicht. König, Ritter, Hexe – ich dachte, Constantin mag dich.«
Lucian langte vom Sattel aus herüber und zog sie an sich. Seine Arme spannten sich um ihren Oberkörper, Muskeln so hart wie Schiffstaue.
»Du hast geschworen, zur Runde der Sieben zu gehören und das Siegel des Sommers zu hüten«, raunte er in ihr Ohr. »Ein Jahr lang. Erinnerst du dich noch? Maeve stand im Begriff, denselben Eid zu leisten, als mein Vater ihr zuvorkam und sie erschlug. Doch nun bitte ich dich, Ravenna: Steh zu deinem Wort. Für Maeve. Und für die Sieben. Du bist eine weiße Zauberin. Ich flehe dich an: Kämpfe für das, woran du glaubst!«
Sein Gesicht verschwamm vor ihren Augen. Er fasste sie am Kinn und zwang sie den Kopf zu heben. »Ravenna?«
Das Einatmen kostete Kraft. Aber sie straffte die Zügel, die schlaff in ihren Händen lagen. »In Ordnung«, sagte sie. »In Ordnung. Ich werde es versuchen.«
Lucian beugte sich vor und küsste sie neben den Mund, eine zurückhaltende Liebkosung, wie es sich in Gegenwart des Königs und der Sieben gehörte. Schon sein sonniger, salziger Geruch weckte in ihr Lust nach mehr.
»Ich werde es tun«, sagte sie zu den Sieben, als er sie losließ. »Ich reite zu diesem Tor. Aber ihr müsst mir vertrauen. Beliar wird mich vor Aufgaben stellen, die euch vielleicht seltsam vorkommen. Ich werde Fragen beantworten müssen und zwischen zwei Preisen wählen, bevor das Rennen startet. Bei allem sollt ihr eines wissen: Ich bin keine Schwarzmagierin.«
Norani zuckte mit den Achseln. »Das hat deine Schwester auch behauptet.«
»Ja, aber …«
»Nein«, fiel ihr die Wüstenhexe ins Wort. »Gib dir keine Mühe, Ravenna. Deine Tat auf dem Hohlweg spricht für sich. Leider hast du aber recht: Wir müssen dir vertrauen. Um sicherzugehen, möchten wir
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