Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Blog. Du weißt schon … auf deiner Hexenseite im Internet. Grüß die Fangemeinde von mir. Du kannst ihnen ausrichten, dass ich immer noch dieselbe bin wie vor der Teufelswette. Und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.«
Königswahl
Carcassonne im April 1254
Die Tore der großen Burgstadt standen weit offen. Seit den frühen Morgenstunden rollten Fuhrwerke über die Brücke und durch die Gassen. Die Zugtiere schwitzten und stemmten sich in die Geschirre. Die Wagen schwankten unter den Lasten. Wenn ein Rad in eine Abwasserrinne geriet, knarrten die Achsen und Zugriemen und die Kutscher fluchten, bis die Tiere wieder Fuß gefasst hatten. Peitschenknallen und das Rattern der Räder erfüllten die Straßen. Der Lärm weckte die Bewohner von Carcassonne.
Überall wurden Fenster aufgestoßen. Die Leute streckten die Köpfe heraus, um zu sehen, was in der Stadt vor sich ging. Der Wirt stand in der Tür seines Gasthauses und rieb sich die Hände. Er wusste, dass die Kutscher durstig bei ihm einkehren würden, sobald sie ihre Waren im Schloss abgeladen hatten. Mit jedem Fuhrwerk, das vorbeirollte, setzte er die Preise für einen Viertelkrug Wein, einen Humpen Bier und eine ordentliche Scheibe Braten ein klein wenig höher. Die Wahl eines neuen Königs war ein einträgliches Geschäft.
Die Wagen waren beladen mit Säcken voller Salz, Brennholz und Gewürzen, mit Korallen, Eisen und Damast. Gespanne zogen riesige Weinfässer bis vor die Barbakane. Dort mussten sie abgeladen und auf Holzbohlen über die Brücke gerollt werden. Soldaten überwachten das Entladen der Wagen. Angeblich hatten sie den neuen Schlossherren einen Treueschwur geleistet. Wer nicht zu diesem Eid bereit gewesen war, hatte seine Waffen abliefern und Carcassonne noch vor dem Morgengrauen verlassen müssen.
Ein Bauer brachte einen Korb mit jungen Hunden. Seine Söhne trieben eine Gänseschar durch die Stadt. Die Vögel schnattern und zischten an jeder Straßenecke und drohten, unvorsichtige Passanten in die Waden zu kneifen. Die Gänsejungen mussten höllisch aufpassten, damit ihnen kein Tier entkam. Eselskarren transportierten Färberwaid und Gerste, zu Ballen geschnürtes Leder oder Blumentöpfe, die in allen Farben überquollen. Ein Imker hatte sieben Bienenstöcke geladen, aus denen wütendes Summen drang. Von dem Rauchfass, das auf dem Kutschbock stand, zogen Schwaden durch die Straßen. Das Aroma von Lavendel und Bergamotte verbreitete sich in der Stadt. Das größte Aufsehen jedoch erregte ein zweirädriger Karren, auf dem Käfige mit Singvögeln gestapelt waren. Das Tschilpen und Zwitschern schallte durch die Gassen. Eine Schar Kinder folgte dem Wagen. Sie veranstalteten beinah so viel Lärm wie die Vögel.
Es waren jedoch nicht nur die Tore der Festungsanlage, die aufgestoßen wurden. Der Erlass der neuen Schlossherren verfügte, dass sofort alle Gefangenen freizulassen seien, die wegen ihrer magischen Gabe in Haft saßen. Die Türen des Hexenkerkers waren entriegelt worden. Tatenlos mussten die Wachen zusehen, wie ihre ehemaligen Gefangenen ins Freie traten.
Die Hebamme blinzelte und rieb sich die Augen. Sie hatte kein Tageslicht mehr gesehen, seit der Hexer von Carcassonne sie in das Verlies geworfen hatte. Ihre Füße waren schwarz bis zu den Knien, und ihr Rock starrte vor Dreck. Als sie begriff, dass sie wirklich frei war, kehrte sie ohne Umwege in ihr Haus zurück und packte ihre zerstörten Gerätschaften, die zerschlagenen Tiegel und die verdorrten Kräuter. Während ihrer Haft hatte sie die Hinrichtung der Doña de Aragon miterleben müssen. Sie hatte das verzweifelte Flehen und die Schreie gehört, als die Flammen um die Füße der früheren Schlossherrin leckten. Nun hielt sie es keinen Atemzug länger in der Stadt aus.
Die Frau des Sattelmachers wurde von ihrem Mann und ihren Kindern empfangen. Auch sie wollte nicht über das Erlebte reden. Sie wollte nur nach Hause und Grütze mit Schweineschmalz essen.
Die Garnzwirnerin dagegen marschierte schnurstracks zur Barbakane. Die Wachposten trugen das Hexenbanner auf Helmen und Schilden und ließen sie anstandslos passieren. Im Hof des Schlosses war ein langer Tisch aufgebaut. Darauf lagen Hunderte gestohlener oder beschlagnahmter Gegenstände. Ein junger Mann überwachte das Heranschaffen der Dinge. Peinlich genau achtete er darauf, dass jeder Gegenstand auch mit der entsprechenden Nummer gekennzeichnet wurde.
»CdC-27 Rue du Fosse-At-Peint-Verre-Plac-Cas-3« ,
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