Tore der Zeit: Roman (German Edition)
aus. Beliars mittelmäßige Show hat so viel Publicity zwar nicht verdient, aber Sie müssen der Nation unbedingt erzählen, wie Sie und Ravenna sich kennengelernt haben! Sagen wir, morgen um Viertel nach acht zur besten Sendezeit?«
»Wie viel bezahlt Ihr?«, fragte Lucian, ohne den Tonfall zu verändern. Er sah, wie Ravenna den Hörer auf die Gabel fallen ließ und sich mit aufgerissenen Augen zu ihm umdrehte. Bist du verrückt geworden? , signalisierte sie ihm.
Aber die Ritter König Constantins waren ihren Hexen gegenüber zu jeder Art von Dienst verpflichtet. Sie regelten alltägliche Dinge, kümmerten sich um Besoldung, Unterkunft und den Hufbeschlag der Pferde. Nichts von alledem hatte er in den vergangenen Monaten für Ravenna tun können. Sie hatte ganz alleine für sich sorgen müssen. Das schlechte Gewissen plagte ihn. Es war nicht zuletzt auch seine Schuld, dass sie ihre Ersparnisse aufgebraucht hatten. In ihrer Welt war er wirklich zu nichts zu gebrauchen.
Vanessa Chanterel lachte. »Ach, Lucian, das Geschäftliche können wir doch regeln, wenn wir uns vor der Talkshow sehen. Kommen Sie einfach in das Funkhaus an der Rue …«
»Sofort«, fiel Lucian ihr ins Wort. »Macht mir ein Angebot oder vergesst es.«
Ravenna flehte ihn lautlos an und versuchte, ihm das Mobiltelefon wegzunehmen. Er drehte sich um die eigene Achse, während sie danach schnappte, und hielt das Handy außerhalb ihrer Reichweite.
»Seid Ihr noch da?«, fragte er. Vanessa Chanterel schien es die Sprache verschlagen zu haben.
»Sie lassen wohl nichts anbrennen, wie?«, stieß die Talkmasterin von Kanal 5 hervor. »Vorhin im Glaskäfig haben Sie gar nicht den Eindruck gemacht, so ein abgebrühter Verhandlungspartner zu sein. Sind Sie zufällig auch Ravennas Manager?«
»Nein«, erwiderte Lucian. »Ich bin ihr Gefährte. Wie steht es nun mit Eurem Angebot?«
Vanessa schnaufte schwer. »Sagen wir fünftausend?«, stieß sie nach einigen Augenblicken hervor.
»Sagen wir: Das Doppelte, und wir kommen beide«, erwiderte Lucian. Ravenna verfolgte die Verhandlung mit offenem Mund.
»Also schön«, fauchte Vanessa Chanterel, »Sie haben gewonnen. Ich muss das noch mit meinem Produzenten besprechen, aber ich denke, es geht klar. Übrigens: Ein ungewöhnlicher Akzent, den Sie da haben. Woher genau stammen Sie?«
»Aus Carcassonne«, sagte Lucian. Es war nicht einmal gelogen. Er ließ das Handy zuschnappen und gab es an Ravenna zurück.
»Wie viel?«, keuchte seine Hexe. »Nun sag schon: Wie viel hat sie dir angeboten?« Vor Aufregung verfärbten sich ihre Wangen.
»Zehntausend«, sagte Lucian. »Ich nehme an, wir haben über Euro gesprochen. Ist das angemessen?«
»Ist das angemessen?«, schrie Ravenna. Sie ließ sich rückwärts aufs Bett fallen und breitete die Arme aus. Der schwarze Koffer schaukelte neben ihr auf und ab. »Ob das angemessen ist, fragt er. Du liebe Zeit, Lucian, so viel verdiene ich sonst in einem halben Jahr nicht!« Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen. Dann fuhr sie plötzlich auf. »Wer war das? Wie war doch gleich der Name?«
»Vanessa Chanterel von Kanal 5«, wiederholte Lucian. »Ich wette, sie ist eine Hexe. Zumindest besitzt sie eine Gabe. So etwas spüre ich.« Er zog das Hemd aus dem Hosenbund und knöpfte es auf. Es gefiel ihm, wie Ravenna da auf dem Bett lag. Sie war schlank und wohlgeformt, eine dunkelhaarige Schönheit mit langer Mähne und makelloser Haut, auch wenn sie gerne Hosen trug und ihre weiblichen Reize zu verbergen suchte. Er genoss es, mit ihr zusammen zu sein. Ihre unwirkliche Verbindung erschien ihm wie ein Wunder – er, der einst als verfluchter Waisenjunge an Constantins Hof gekommen war, und die mächtige Hexe aus der Zukunft. Die Tormeisterin. Es war mehr, als er sich je erträumt hatte.
»Kanal 5!«, rief Ravenna. »Weißt du überhaupt, wo du uns da hingebracht hast? Das ist die Talkshow überhaupt! Vanessa parle tout – sie ist sozusagen die französische Oprah Winfrey. Die Königin des gepflegten Fernsehtalks. Ganz Frankreich wird morgen dabei zusehen, wie wir uns bis auf die Knochen blamieren. Nein, ich kann da nicht hingehen. Was soll ich ihr bloß sagen, wenn sie mich fragt, wieso ich zaubern kann?«
»Erzähl ihr einfach von Mémé«, schlug Lucian vor. »Oder von den Sieben. Schließlich ist es die Wahrheit. Du hast die Gabe von deiner Großmutter geerbt und wurdest im Konvent auf dem Hexenberg ausgebildet.« Er ließ das Hemd auf den Boden fallen und kam zu ihr
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