Tore der Zeit: Roman (German Edition)
hatten seine Freunde an der Tür und an den hohen Fenstern Stellung bezogen. Nur Cezlav blieb in ihrer Nähe stehen.
»Was es zu feiern gibt?«, fragte Vadym endlich zurück. »Wir stoßen gerade darauf an, dass du so dumm warst, den alchemistischen Koffer zu wählen. Das lief besser, als wir erwartet hatten.«
»Ach ja?«, erwiderte Ravenna. Sie runzelte die Stirn. Ein Junge mit kupferfarbenem Haar goss ihr Champagner ein. Als er die Flasche zu hastig kippte, schäumte das Getränk über. Der Schaum lief ihr über die Finger.
»Du solltest das probieren. Wirklich!«, raunte sie Lucian zu, während sie die Tropfen aufschlürfte. Laut fügte sie hinzu: »Ich wüsste nicht, wo der Vorteil für dich liegt. Mir den Hexenring zu klauen, um ihn gegen den alchemistischen Schatz einzutauschen – das bringt dich nicht weiter. Denn du musst den Koffer öffnen. Und das ist nicht so leicht, wie es scheint.«
Der Russe funkelte sie wütend an. »Du weißt offenbar nicht, was du angerichtet hast«, herrschte er sie an. »Vor ein paar Wochen hatten wir schon beinahe gewonnen! Es war mein erster Auftritt in der Show, und alles lief großartig. Bis Beliar plötzlich auftauchte und erklärte, wir würden nicht eher in die zweite Runde kommen, bis eine Chexe namens Ravenna am Quiz teilnehmen würde. Er änderte die Regeln, wie es ihm passte, und zögerte meinen Sieg ein ums andere Mal hinaus. Und dann kamst du.«
Mit düsterer Miene hob Vadym das Glas und prostete ihr zu. Ravenna trank einen großen Schluck, um ihre Aufregung niederzukämpfen. Die Champagnerperlen platzten dicht unter ihrer Nase. Hinter sich hörte sie Lucian gleichmäßig atmen. Sie kannte diese Art von Konzentration – die gesammelte Ruhe vor einem Angriff, die ihn erst richtig gefährlich machte.
»Beliar hat dich also erpresst«, stellte sie fest. »Nun, das haben wir uns fast schon gedacht. Niemand versagt so oft bei der letzten Fragerunde – nicht einmal ein russischer Falschspieler. Und alles nur deswegen?« Ironisch wog sie den Koffer in der Hand. Er war so leicht, dass man denken konnte, er sei leer. »Wisst ihr wenigstens, was da drin ist?«
»Natürlich nicht«, ließ sich Cezlav vernehmen. Seine Stimme klang tiefer und dunkler als die seines Freundes. Er zog an seiner Zigarette und blies eine dünne Rauchwolke in ihre Richtung. Es roch nach Tabak, gemischt mit irgendeinem Kraut, von dem sich ihr der Magen umdrehte. Auch das noch. Kiffende russische Zocker.
»Niemand weiß, was der Koffer enthält. Hast du gestern nicht zugehört? Der Inhalt formt sich durch alchemistisches Wirken. Durch Magie. Allerdings sind wir sehr froh, dass du dich fürs Weiterspielen entschieden hast. Sonst säßest du jetzt auf einem Berg Geld, und wir wären leer ausgegangen – nach all dem Ärger. Doch unter diesen Umständen bekommen wir eine zweite Chance. Eine bessere Chance.«
Nichts an Cezlavs Grinsen wirkte freundlich. Ravenna nickte langsam und behielt auch die anderen Anwesenden im Blick. Die Russen belauerten sie und Lucian wie ein Rudel Wölfe.
Ihr war klar, was Cezlav meinte: In der zweiten Runde spielten sie um einen deutlich erhöhten Einsatz. Die Gewinnsumme stieg auf zweihundertfünfzigtausend Euro. Der Koffer in ihrer Hand war eine viertel Million wert. Je länger Ravenna darüber nachdachte, desto mehr leuchtete ihr die Aufregung des Publikums ein. Genau wie die Neugier der Medien.
»Wir werden den Koffer öffnen und die zweite Runde gewinnen. Und auch die dritte und vierte, wenn es sein muss. Bis uns die Million gehört«, erklärte Cezlav gedehnt.
»Dazu müsstet ihr den Koffer aber erst mal haben«, erwiderte Ravenna. Ihre Augen brannten vom Zigarettenrauch.
»Er gehört uns praktisch schon«, mischte sich Vadym wieder ein. »Wir tauschen ihn gegen deinen Ring. Dann lassen wir dich und deinen Freund unbehelligt gehen. Was meinst du? Kommen wir ins Geschäft?«
Ravenna schluckte den restlichen Bissen und trank das Glas fast bis zur Hälfte leer. Wann hatte sie zum letzten Mal Kaviar und Champagner gefrühstückt?, fragte sie sich. Hatte sie das überhaupt schon einmal getan?
Sie stellte das Glas auf den Tisch. »Erst will ich den Ring sehen«, verlangte sie.
Vadym griff in die Tasche seines Morgenmantels und förderte ihren Schatz zutage. Gelangweilt ließ er das Siegel an seinem Zeigefinger baumeln. »Was für ein Zauberding ist das? Das Armband besitzt Kraft. Das spüre ich.«
Die Rubine auf dem Ring glühten schwach und zeigten an, dass in
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