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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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das merkte er schnell. Das Mädchen hob die Arme und richtete die Handflächen nach vorn. Ihr Mund bewegte sich. Doch die Worte, die sie sagte, ergaben keinen Sinn. Sie klangen wie eine fremde Sprache – bis Lucian begriff, dass die kleine Schwarzmagierin rückwärts sprach. Ein Schauer rann ihm den Rücken hinab. Sie wurden soeben verflucht.
    Zwei schnelle Schritte und Ravenna stand vor dem Mädchen. Mit einem drohenden Knurren sprangen die übrigen Bandenmitglieder von dem Mauervorsprung herab oder kamen aus dem Dunkel hinter der Leitplanke hervor. Lucian trat schnell vor, um seiner Hexe den Rücken zu decken.
    Ravenna sagte nur ein einziges Wort. » Spennanier !«
    Das Mädchen begann sich zu drehen. Nicht wie bei einem Tanz, sondern plump wie eine Betrunkene. Ihre Füße wurden über den Boden gehoben. Ihr langes Haar floss in Strähnen über ihr Gesicht, während sie immer schneller durch die Luft wirbelte – ein menschlicher Kreisel, von einer unsichtbaren Gewalt angetrieben. Sie jauchzte. Oder war es ein Schreckensschrei? Die Ratte rutschte von ihrer Schulter und floh in die dunklen Ecken am Kanal. Die Burschen stoben voller Entsetzen auseinander, ohne dass Lucian einen Finger krümmen musste.
    Plötzlich konnte man die verschlungenen Worte des Fluchs verstehen. Es schien, als würde die Drehung den Redefluss wieder in die richtige Bahn lenken. Ravenna lachte, als sie die Verwünschung hörte. Es ging um Geld, ein Kraut namens hasish und um Betonblöcke an den Füßen.
    Lucian schüttelte den Kopf. Als seine Hexe in die Hände klatschte und ein anderes Wort sprach, verlangsamte sich die Karussellfahrt der kleinen Schwarzkünstlerin, bis sie schließlich wieder sanft auf dem Boden aufkam. Aber ihre Füße wollten nicht stillhalten. Sie bewegten sich weiter und lenkten das Mädchen in Richtung Fluss. Lucian fing die Torkelnde auf, bevor sie ins Wasser stürzte. Er führte sie zu einer Kiste, die am Ufer herumlag, und half ihr, sich zu setzen. Sie sah mit glasigen Augen zu ihm auf, beugte sich dann nach vorn und spie ihm vor die Füße.
    Mit einem Ausruf des Abscheus sprang er zurück. Die kleine Schwarzkünstlerin wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und lächelte Ravenna an. Ihrem Gestammel war zu entnehmen, dass sie gerade den größten Rausch ihres Lebens erlebt hatte.
    »Lass uns gehen«, sagte Ravenna. »Ich glaube, für heute hat sie genug.«
    Lucian war der Abschied mehr als recht. Er ertrug den Dreck und Gestank am Kanal nicht länger. Hastig erklommen sie die Stufen, die zur Straße hinaufführten. Von den Burschen in ihren langen Ledermänteln war nichts mehr zu sehen. Als Lucian noch einmal zurück zum Fluss blickte, sah er, dass die Ratte wieder aus ihrem Loch gekommen war. Schnuppernd näherte sie sich dem Erbrochenen, angelockt von der ausgestreckten Hand der kleinen Hexe.
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie das Studio von Kanal 5 erreichten. Zum Glück blieben ihnen weitere Auseinandersetzungen mit Schwarzmagiern und anderen zwielichtigen Gestalten erspart. Man führte ihn und Ravenna sofort in die Maske. Lucian hätte am liebsten die unbequemen Schuhe ausgezogen. Er war es nicht gewohnt, weite Strecken zu Fuß zu gehen. Auf dem Hexenberg hatten er und seine Freunde jede Besorgung und jeden Botengang zu Pferd erledigt. Auch das vermisste er – neben vielen anderen Dingen.
    Eine junge, hübsche Assistentin kam, reichte ihm einen Kleiderbügel und forderte ihn auf, sich umzuziehen. Misstrauisch prüfte er die glatten Stoffe. Von einer Maskerade war nicht die Rede gewesen. Allerdings erschien man auch nicht im Alltagsgewand vor dem König und den Sieben.
    Seufzend entledigte er sich seiner Sachen, schlüpfte in die Kleider und knöpfte das graue Hemd zu. Anschließend ließ er zu, dass man ein Kabel an ihm befestigte. Von Vanessa Chanterel war nichts zu sehen. Er begann schon, sich Sorgen zu machen, ob die Hexe von Kanal 5 ihre Abmachung einhalten und ihnen den Lohn für ihr Erscheinen auszahlen würde. In Ravennas Welt galten mündliche Absprachen wenig und auch auf einen Handschlag war kein Verlass – noch eine Tatsache, an die er sich erst hatte gewöhnen müssen.
    Ravenna sah er erst wieder, als sie beide auf der Studiocouch Platz nehmen sollten. Als er sie dort sitzen sah, fing sein Herz zu klopfen an.
    Sie war wunderschön. Das war das Gute an ihren Auftritten: Dann trug Ravenna Gewänder, die sie sonst niemals anziehen würde. So wie dieses elegante Kleid, das über ihren Knien

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