Tore der Zeit: Roman (German Edition)
ihm hochschauen. Ein Scheinwerfer hinter ihm ließ seine Glatze leuchten. Dieser Schweinehund. Er hatte sie ausgetrickst. Der Skorpion war bloß eine Sinnestäuschung gewesen, eine Halluzination, um sie zu verunsichern und mehr Spannung in das Quiz zu bringen.
»Mir geht’s gut«, fauchte sie und ignorierte Beliars ausgestreckte Hand. Stattdessen zog sie sich an der Konsole hoch und rutschte zurück auf ihren Hocker.
»Du solltest besser achtgeben«, riet Beliar, »denn nun liegt Vadym wieder vorn.« Sein Gesichtsausdruck wirkte ironisch und gelangweilt. Wie ein Forscher, der seine Lieblingslaborratte zwickt und feststellt, dass sie noch quiekt, dachte Ravenna.
»Noch ist das Spiel nicht vorbei!«, zischte sie. »Stell einfach die nächste Frage. Deshalb sind wir doch schließlich hier.«
Es ärgerte sie wahnsinnig, dass sie der imaginierte Skorpion aus dem Konzept gebracht hatte. In der Zauberkunst drehte sich vieles um Zahlen. Gerade sie sollte das wissen. Sieben Hexen gehörten zu dem Zirkel, der sie ausgebildet hatte, das achte Mitglied war die Hexengöttin Morrigan. Sieben Ritter gehörten zu König Constantins Runde, und einer davon war Lucian. Es gab dreizehn Vollmonde im Lauf eines Jahres, aber nur zwölf Monate des Sonnenkalenders. Drei galt als magische Zahl, vier als Zeichen für Vollkommenheit, und fünf Zacken hatte ein Hexenstern. Die Zahlenmystik hatte sich sogar in der Architektur niedergeschlagen, die immerhin ihr Fachgebiet war – in der Speichenzahl von Fensterrosetten und den verschlungenen Wegen alter Labyrinthe.
»Bereit?«, fragte Beliar und zwinkerte seinen beiden Kandidaten zu. Ravenna und Vadym nickten. Die nächste Aufgabe war leicht, sie sollten Begriffe zuordnen, die sich auf die Elemente bezogen. Schwert passte zu Luft, der Stab zu Feuer. Blieben noch Kelch und Münze – Ravennas Finger flogen nur so über den Bildschirm, und sie wurde zeitgleich mit Vadym fertig. Diesmal gab es keinen störenden Spuk, und der Punkt ging an sie beide.
»Neues Spiel, neues Glück«, rief der Teufel. »Die folgende Frage entscheidet über den Sieg im zweiten Durchgang. Also Achtung: Was ist Acencræft ?«
Ravenna starrte auf ihren Bildschirm. Sie hatte den Begriff noch nie gehört. Sie spürte, dass es ein Wort der Hexensprache war, der Verbotenen Sprache, die nur Eingeweihte und Magierinnen mit einer Gabe verstanden. Sie lauschte und schloss die Augen, versuchte das Wort mit einem Bild oder einem Gefühl zu verbinden. Nichts. Auch Vadym blieb stumm. Er schien genauso überfordert wie sie.
Beliar kostete die Ratlosigkeit seiner Kandidaten allerdings nicht aus. Stattdessen schaute er den dunkelhaarigen Ritter hinter Ravenna an. Die Kameras waren dem Schwenk seines Sessels gefolgt und fingen die kleinste Regung von Lucian ein, von seinen geballten Fäusten bis zu seinem wachsbleichen Gesicht. Einem ausgesprochen hübschen Gesicht mit klaren Konturen – genau dem richtigen Gesicht für eine Großaufnahme.
»Wissen Sie es vielleicht?«, fragte Beliar und tat so, als wandte er sich an das gesamte Publikum. In Wahrheit forderte er bloß Lucian heraus. Ganz sicher wollte er ihn zu irgendeiner Dummheit reizen, die nicht wiedergutzumachen war, weil zigtausend Franzosen sie live im Fernsehen gesehen hatten. »Weiß hier irgendjemand, was Acencræft bedeutet? Gibt es denn niemanden mehr, der sie anwenden kann?«
Aus den Augenwinkeln sah Ravenna, wie sich Vadyms Hand zögerlich dem Buzzer näherte.
»Stopp!«, schrie sie. »Ich will einen Joker!«
Beliar versetzte seinem Hocker einen Stoß und kreiselte zu ihr herum. Die Kameras verweilten lange genug auf Lucian, um zu zeigen, wie er lautlos fluchte, die Arme verschränkte und sich finster zurücklehnte. Wahrlich – der Teufel führte hier die Regie.
Beliar lachte. »Einen Joker«, rief er. »Bitte sehr! Ein Joker für Ravenna.«
»Ich nehme das Medium«, sagte sie, ohne groß nachzudenken. »Ich werde das Medium befragen.« Die Lichter wurden rot. Pochende Kontrabässe zitterten in der Luft.
»Also dann«, schrie Beliar. Stille senkte sich über die Zuschauer. Ravenna rückte sich auf dem Hocker zurecht und hob die Arme. Mit geschlossenen Augen presste sie die Finger gegen die Schläfen. Vor der Show hatte man ihr gesagt, sie solle das tun. Ein bisschen Dramatik mimen. Schließlich wollte das Publikum etwas sehen – nicht bloß eine Hexe, die einen stummen Dialog mit einer angeblichen Hellseherin führte.
Verstohlen schob sie den Knopf, den man
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