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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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in der Burg regen, bis der Schlossherr gefrühstückt hatte und halbwegs bei Laune war. Und nun ließ er ein Spektakel veranstalten, das einem Jahrmarkt der Verrückten glich?
    Lucian stützte die Schulter gegen die Mauer. Die Bewohner von Carcassonne taten ihm leid. Die meisten von ihnen waren unbegabte Schattenseelen und hatten vermutlich keine Ahnung, in welche teuflische Scharade sie da gerade hineingezogen wurden. Kein Mensch schien wirklich Spaß an dem Treiben zu haben – abgesehen vom bösartigen Spielmacher des WizzQuizz.
    »Schneller! Höher! Und jetzt rennt alle dort hinüber!«, spornte Beliar die Gaukler und Tänzer an, während er die Darbietungen mit der Handkamera festhielt. Im Abstand von zwanzig Schritten stand jeweils ein Hexer, der einen Messingstab mit einem umgedrehten Pentagramm in der Hand hielt. Die Schwarzmagier verharrten mit dem Gesicht zur Menge. Velasco ließ seine eigenen Untertanen bewachen.
    Lucians Magen verkrampfte sich. Er fürchtete, es würde nicht mehr lange dauern, ehe er selbst eine unwürdige Rolle in diesem Spektakel spielen musste. Als er sich ein kleines Stück vorbeugte, um zum Schloss zu schauen, fuhr ihm die Klinge einer Hellebarde vors Gesicht.
    »Keinen Schritt!«, fuhr ihn der Kommandant der Wache an. Der Bart des Hauptmanns war grauer als früher, doch ansonsten war es derselbe Soldat, der schon während Lucians Kindheit auf den Wehrgängen und am Tor Wache geschoben hatte. Von diesem Mann hatte er keine Anteilnahme zu erwarten. Die Angehörigen der Palastwache wussten, dass er der Sohn des Schlossherrn war. Sie wussten, was er getan hatte, als der König und seine Krieger vor der Zugbrücke standen. In ihren Augen war er ein Verräter, der den Tod verdiente.
    »Du trittst erst auf den Platz, wenn der Herr das Zeichen gibt«, schnauzte ihn der Hauptmann an.
    Lucian stützte die Schulter gegen den Torbogen und wartete. Seine Wächter waren nervös, denn sein Vater hatte ihm das Schwert gelassen. Die schwarze Scheide hing von seiner rechten Hüfte herab. So konnte er die Waffe jederzeit mit einem Griff der freien Hand erreichen. Niemand hatte ihm gesagt, was das bedeuten sollte. Doch Beliars Absichten waren unschwer zu erraten: Offenbar sollte er während des Spektakels einen Schaukampf abliefern. Sollte mit einer auf dem Rücken festgeschnürten Hand wahrscheinlich gegen irgendeinen armen Teufel kämpfen, der von der Ausbildung und den Fertigkeiten der Hexenritter keine Ahnung hatte.
    Lucian bemühte sich, möglichst ruhig und gleichmäßig zu atmen. Er hatte nicht vor, jemanden zu verletzen. Er hatte überhaupt nicht vor, für Beliars verdammte Vergnügungen auf den Platz zu treten und zu fechten. Wenn er die Wahl gehabt hätte, dann wäre er liebend gerne in Ravennas Zeitalter zurückgekehrt, in dem die meisten Menschen vernünftigerweise keine Waffen trugen und sich selbst Magier an gewisse Regeln hielten.
    Die vergangene Nacht hatte seinen Nerven zugesetzt. Sein Vater hatte ihn in dem zugigen, unbeheizten Thronsaal empfangen – nur ihn allein, ohne dass Wachen oder Bedienstete Zeugen ihres Wiedersehens wurden. Wortlos hatte Velasco auf dem Podest gewartet, während er den langen Weg durch die unbeleuchtete Halle zurücklegte. Das Schwert hatte man ihm am Eingang des Saals abgenommen.
    »Was will der König hier? Auf meinen Ländereien?«
    Diese Frage, aus der Dunkelheit gestellt, erschütterte Lucians Überzeugung, er könne dem Verhör standhalten. Seit Ravenna und er in das Verlies von Carcassonne geraten waren, wusste er, dass ihm eine unbequeme Befragung bevorstand. Dass jedoch der König und seine Freunde Gegenstand der Vernehmung waren, kam unerwartet. Es erschreckte ihn. Denn es bedeutete, dass die Heimatburg des Ritterordens kein sicherer Ort mehr war.
    Er sagte nichts. Sein Vater beugte sich vor. Der Kristall, Terra magyca genannt, rutschte an der Kette herab. »Was will Constantin hier?«
    Lucian presste die Lippen aufeinander. Dieses Spiel konnten sie endlos spielen, sagte er sich, solange es bei Fragen, Schweigen und einem gelegentlichen Wutausbruch des Hexers blieb. Anders verhielte es sich allerdings, sollte er plötzlich damit unter Druck gesetzt werden, dass Ravenna bedroht wurde. Über diese Möglichkeit wollte er lieber nicht nachdenken.
    »Der König hat mit den Hexen ein Lager in den Bergen aufgeschlagen«, gab Velasco zu seiner Überraschung preis. »Kurz nach Mittwinter sind die Sieben mit ihren Begleitern hier eingetroffen. Beachtlich,

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