Tore nach Thulien 2 : Dämmerung (German Edition)
und nach einem letzten, abschließenden Blick auf das bereits zerschmetterte Gefährt, schoben sie sie über den Abhang. Mit lautem Getöse brachen sie durch die obersten Äste der Bäume und blieben dann etwas tiefer im unübersichtlichen Gewirr des Zweigwerks hängen. Zufrieden schwangen sich die Männer dann in die Sättel, und ohne ein weiteres Wort preschten sie davon. Jeder führte dabei ein zweites Pferd am Zügel mit sich.
Anfangs versuchte Liam noch, ein hohes Tempo vorzulegen, doch musste er schnell erkennen, dass der Untergrund weitaus steiniger und grober war als der Bergpfad von vorhin. Er wusste, dass sie auf die Tiere angewiesen waren und so drosselte er die Gangart, bis sie sich schließlich nur noch schrittweise den Berg hocharbeiteten. Die langen, kräftigen Beine der Pferde waren ihre große Stärke, doch gleichzeitig auch ihre empfindlichste Stelle. Schnell konnte ein unvorsichtiger Tritt oder ein in Hast aufgesetzter Huf zu einem verstauchten oder gar gebrochenen Knöchel führen, und ein lahmes Pferd war zu genauso wenig nütze wie ein Wagen ohne Räder. Die Pferde waren, zumindest soweit Liam das bisher gesehen hatte, neben der Ortskenntnis der Flüchtlinge ihr einziger großer Vorteil gegenüber den Hellen und diesen galt es, nach Möglichkeit nicht zu verspielen. Nach dem Kampf am Morgen war sich Liam sicher, dass ihre einzige Chance zu Überleben in der Flucht lag. Ein weiteres Zusammentreffen mit diesen unheimlichen Kreaturen würde vermutlich ihr Ende bedeuten.
Liam richtete sich kurz im Sattel auf und sah nach vorne. Ein weiterer, anschließender Blick über die Schulter machte ihm klar, dass sie ungefähr die Hälfte der Strecke hinter sich hatten. Die Landschaft veränderte sich zusehends. Wo vorhin noch Bäume dicht an dicht das Vorankommen erschwerten, gleichzeitig dem Boden aber auch Halt und Trittsicherheit gaben, standen sie jetzt nur noch vereinzelt und in unregelmäßigen Abständen auf dem kahlen und schroffen Boden. Viel Geröll und klobige, spitze Steine mit scharfen Kanten bildeten den Untergrund und erschwerten den Pferden ungemein den Anstieg. Noch waren sie in der Lage, die Last ihrer Reiter zu tragen, doch konnte sich das sehr bald ändern. Liam und die Männer hatten die Baumgrenze erreicht, jenen markanten Streifen, der zeigte, dass sich die Gegend mehr und mehr zu einer unwirtlichen und für Pflanzen und Tiere ungeeigneten Umgebung verwandelte.
>> Liam! << , rief Fernlug plötzlich. Der Tischler zeigte mit dem ausgestreckten Arm nach Nordwesten ins Tal.
Liam drehte sich um und folgte der Bewegung. Von hier oben hatten sie einen ausgezeichneten Blick, und wo ihnen vorhin noch Bäume und Strauchwerk die Sicht verdeckten, offenbarte sich nun eine atemberaubende Aussicht über das Land. Im ersten Moment wusste Liam nicht, was Fernlug meinte, doch dann konnte er es sehen. Ein gewaltiger, weißer Wurm bewegte sich langsam von Westen her kommend über ihre alte Heimat. Er brandete an den Fuß des Sensenkammes und schob sich von dort aus nach Norden und Süden weiter.
>> Das müssen Zehntausende sein! << , flüsterte Gerling, der mit seinem Pferd nahe bei Liam stand. Ungläubig war auch sein Blick dem Arm Fernlugs gefolgt. Mit großen Augen sah er ins Tal hinab und dann angsterfüllt zu Liam.
>> Es ist nicht allein ihre Größe, die mir Angst macht, Gerling. Der Sensenkamm wird sie nicht aufhalten! In spätestens zwei Wochen haben sie ihn im Norden und Süden umgangen, und dann werden sie sich ins Leuenburger Becken ergießen. <<
>> Bei der Herrin! Wir müssen die Leuenburger warnen! << , rief Gerling daraufhin erschrocken aus.
>> Nicht nur die. Jedes Dorf und jeder Hof auf dem Weg bis zur Stadt des Herzogs muss gewarnt werden! << , antwortete Liam.
>> Wir müssen uns beeilen! << , schob er flüsternd, mehr zu sich selbst hinterher und sah dann zu Fernlug.
Der hatte sich inzwischen vom Anblick im Tal losgerissen und näherte sich so schnell es ging den beiden. Noch bevor er sie erreichte, rief er:
>> Leuenburg! Wir müssen nach Leuenburg! << Sein Gesicht war angsterfüllt und die Augen schreckgeweitet. Er hatte offenbar die gleichen Schlussfolgerungen wie Liam und Gerling gezogen.
>> So schnell wir können! << , rief Liam ihm entgegen und trieb sein Pferd ohne einen weiteren Blick auf Gerling an. Tapfer setzte sich das große Tier wieder in
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