Tore nach Thulien 3 : Ferner Donner (German Edition)
über den kurzen Steig, der hinauf zur Burg führte, bis zu den sanften Anhöhen im Süden gleiten und konnte weit hinten das im Licht der aufgehenden Sonne silbern glitzernde Band der Leue erkennen. Die Dämmerung hatte eingesetzt und, egal wohin er auch blickte, der neue Tag offenbarte ihm ein vollkommen verändertes Leuenburger Becken. Wo sich sonst nur sprichwörtlich Fuchs und Hase gute Nacht sagten und von Reisenden meistens jede Spur fehlte, wimmelte es zu Beginn dieses neuen Tages nur so vor Gestalten. Sie zogen in Trupps zu Hunderten und Tausenden gen Osten, und von der Leue bis zur alten Zollfeste überzog ein lebender, sich stets bewegender Schleier das Land. Einem riesigen, weißen Wurm gleich, schob er sich von Westen kommend über die sanften grünen Hügel, und schlängelte sich zwischen Leue und Kuttensteig ins Reichsinnere. Ein großer Trupp dieser unheimlichen Masse hatte sich vom Rumpf des Wurms gelöst und marschierte geradewegs auf die Burg zu. Matruk hatte keine Ahnung, was hier geschah, doch er konnte die Feindseligkeit, die unausgesprochen in der Luft lag, förmlich greifen. Und er merkte sofort, dass diese nicht von den Soldaten der Feste ausging und nicht ihm galt, sondern ihnen allen. Jetzt wusste er auch, was den Männern eine derartige Angst einjagte, und das es definitiv nicht an der Anwesenheit ihres Kommandeurs lag.
Matruks Verstand benötigte einen Moment, bis er begriff, was sich da unten im Tal abspielte, und als es dann endlich soweit war, sprang ihm die Angst wie ein Nachtmahr in den Rücken. Er konnte spüren, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten und sich der Magen verkrampfte. Diese Gestalten dort unten hatten ganz sicher nichts zu verzollen, und ihnen war auch nicht daran gelegen, einfach nur mal an die Tür des Reichs zu klopfen. Sie wollten diese Burg schleifen und jene, die darin lebten, töten. Bleich und mit klopfendem Herzen drehte sich Matruk um. Er konnte den Anblick nicht mehr länger ertragen und wollte ganz plötzlich nur noch weg. Der Ärger mit Ritter Londrek und den Männern erschien mit einem Male unbedeutend und nebensächlich, und er war sich auch sicher, dass ihm in dieser Sache nichts mehr passieren würde. Ritter Londrek brauchte nun jeden Mann und konnte selbst auf ihn nicht mehr verzichten. Als Matruk den ersten Schrecken überwunden hatte und wieder in das Gesicht seines Herrn blickte, änderten sich seine Ziele schlagartig. Einfach abzuhauen war nun nicht mehr möglich. Jetzt galt es, einen erneuten Streit mit den Männern oder gar Londrek unbedingt zu vermeiden. Matruk wollte überleben, und dafür benötigte er die Hilfe aller in der Burg. Vorerst zumindest.
>> Du siehst, ich muss dich künftig für keinen deiner Fehler mehr bestrafen. Das machen jetzt die da. << Ritter Londrek war an Matruks Seite getreten, packte ihn unsanft am Kragen und drehte sein Gesicht wieder in Richtung des fremden Heeres. >> Und glaub mir, die warten nur darauf, dass du einen begehst. << Noch einmal drückte er Matruk mit festem Griff über die Zinnen und es hätte nicht viel gefehlt, und der Waibel wäre über die Brüstung geflogen.
Matruk schnaufte und begann am ganzen Körper zu zittern. Jetzt verfluchte er sich selbst für seine Schmähung an der Herrin. Ihren Beistand hatte er nun bitter nötig. Endlich ließ ihn der Ritter wieder los, und mit einem Krächzen zog sich Matruk zurück und rutschte rücklings an der Brustwehr zu Boden. Keiner der Männer verzog eine Miene und niemand sprach ein Wort. Sie alle konnten wohl spüren, was die Ankunft dieses unheimlichen Gegners bedeutete und die Genugtuung gegenüber ihrem Waibel war nicht mehr wichtig.
>> Männer! << , erhob Ritter Londrek plötzlich die Stimme. Er drehte sich um, stieg auf eine der Zinnen und stemmte die Arme in die Hüften. Klar und laut begann er zu sprechen, und seine Worte donnerten von der Wehrmauer hinab in den Burghof und bis weit über den Kuttensteig. Jeder Soldat konnte ihn oben über dem Torhaus stehen sehen und alle vernahmen seine Rede. >> Nun wissen wir, warum uns Herzog Grodwig vor mehr als einem halben Jahr hierher beordert hat. Nun wissen wir, worauf wir all die langen und dunklen Winterwochen warten mussten. Gefragt haben wir uns das alle, auch ich, doch heute, genau in diesem Moment, bekommen wir die Antwort. Ein unbekannter Feind, woher auch immer er unentdeckt gekommen sein mag, steht an den Grenzen des Reichs und wir, die Männer der
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