Tore nach Thulien 4 : Grüfte und Katakomben (German Edition)
ganz so schlimm und wurde von den wenigen, dafür aber schönen und guten Erlebnissen verdrängt. Alter Schmerz tat einfach nicht mehr weh und verblasste zusehends. Und daran würde selbst das Gezeter seiner Frau nichts ändern können. Insgeheim verstand er seinen Sohn und freute sich sogar ein wenig, dass der seinen eigenen Kopf hatte.
Der Gedanke an seine Frau ließ ihn sofort wieder in schlechte Laune verfallen. Als ob ihr ständiges Gejammer noch nicht genug gewesen wäre, war Viandra am selben Nachmittag auch noch zur Stadtwache gerannt und hatte Helling als vermisst gemeldet. Was für ein Unsinn! Als ob sich die Stadtwache um den Sohn eines kleinen Handwerkers aus Sieben Schänken kümmern würde. Die hatten zwar nicht unbedingt Besseres zu tun, würden sich aber am Ende einen feuchten Kehricht um das Schicksal dieses Bengels scheren. Nein, von offizieller Seite brauchten sie keine Hilfe erwarten, und noch war das, der Herrin sei Dank, auch nicht notwendig. Heute oder spätestens morgen würde Helling wieder auftauchen, womöglich übernächtigt und nicht ganz ungeschoren, am Ende aber gesund und wohlauf. Mit einer Tracht Prügel oder zumindest einer satten Ohrfeige rechnete er sicherlich, Helling war nicht dumm, doch wenn sich Asenfried nicht vollkommen in ihm täuschte, würde auch er diesen Preis gerne in Kauf nehmen. Der Apfel fiel schließlich nicht weit vom Stamm.
Noch immer ungehalten betrat Asenfried schließlich den Kellerraum, in dem neben der Schmiedekohle noch andere Utensilien lagerten. Sehr aufgeräumt war es nicht, doch Asenfried wusste genau, wo was verstaut war. Er nutzte den Raum schon seit Jahrzehnten und kannte sich hier so gut aus, wie in der Schmiede selbst. Dass der Raum genau genommen gar nicht ihm gehörte, hatte er längst vergessen, und nachdem auch niemand danach fragte, würde das wohl noch eine ganze Weile so bleiben.
Die Wände waren alt und an mehreren Stellen drang Feuchtigkeit in das Gemäuer. Es roch muffig und die Luft war abgestanden. Der Keller hatte einst zum Refraktorium, der alten Sternwarte Leuenburgs gehört, von der man heute nur noch den Kuppelbau oben in der Gasse sehen konnte. Kunstvoll gearbeitete Sternbilder aus Mosaik und Alabaster blitzten hier und da unter einer fingerdicken Schicht aus Kalk und Schimmel hervor und legten noch immer Zeugnis ab von der in Leuenburg einst so hoch angesehenen Wissenschaft der Sternenkunde. Vor knapp einem Jahrhundert jedoch wurde das Refraktorium auf Anweisung des damaligen Erlösers geschlossen, und der letzte Magister im Feuer der Herrin verbrannt. Der Kirche gefiel nicht, dass die Himmelskundigen damit begannen, Regeln und Gesetzmäßigkeiten in Thulien von verschiedenen Sternkonstellationen abzuleiten oder gar abhängig zu machen, und schritt ein. Schließlich war die Herrin allein Schöpferin und treibende Kraft auf dieser Welt und duldete keine andere neben sich. Fortan wurde alles, was in Verbindung mit der Sternenkunde gebracht wurde, als blasphemisch bezeichnet und der Magister von Leuenburg der Gotteslästerung beschuldigt. Herzog Helfast, der das Refraktorium damals in jungen Jahren hatte erbauen lassen, gelang es noch, seinen Hals aus der Schlinge ziehen, doch über den Magister wurde rasch das Todesurteil verhängt. Damit die Sache zu einem Abschluss gebracht werden konnte, musste rasch ein Schuldiger gefunden, dieser anschließend als Urheber allen Übels überführt und schließlich dem Tod durch das Feuer unterzogen werden. Und wer wäre dafür besser geeignet gewesen, als der Leiter des Refraktoriums selbst? Asenfried kannte die Geschichte nur aus oberflächlichen Erzählungen, und ehrlich gesagt, interessierte sie ihn kein bisschen. Er hatte die Werkstatt damals von einem alten Schmied übernommen und erst später zufällig die unterirdischen Räumlichkeiten entdeckt. Der spontane Fund kam ihm gerade Recht, drohte die Schmiede doch schon nach kurzer Zeit aus den Nähten zu platzen.
Der große Haufen Schmiedekohle befand sich gleich vorne in einer Ecke, kaum sichtbar im Halbdunkel des Kellers. Lichteinlässe gab es wenige und die meisten waren verschüttet oder zugewachsen. Asenfried warf den alten Leinensack auf den Boden und begann damit, Kohlestück um Kohlestück darin aufzuschichten. Die schwarzen Stücke waren grob gebrochen und der Staub setzte sich sofort in den Falten im Gesicht und den Händen ab. Asenfried störte das nicht mehr, gehörten die kleinen,
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