Tori und die verschwundene Stute
Gelände war noch verwilderter als früher. Brennnesseln, Disteln und Gestrüpp wucherten meterhoch, dazwischen lagen morsche Bretter und Baumstämme, alte Autoreifen und Mauerreste. Tibor und Janko zogen sofort zu dem alten Reitplatz, der inzwischen von Schlingpflanzen und Efeu überwachsen war. Nach ein paar Metern stiegen die Mädchen ab und führten die Pferde.
âWo könnte Hannes Becky versteckt haben?â, fragte Sina.
Tori blickte sich um. âDas Gelände ist riesigâ, sagte sie zweifelnd. Sie hatte es gar nicht so groà und unüberschaubar in Erinnerung.
Seit sie das Brachland betreten hatten, hatte sich Washingtons Laune merklich gebessert. Er stürmte aufgeregt von einem Busch zum anderen, von Schutthaufen zu Maulwurfshügeln und zur Brandschutzmauer. Ãberall roch es anders und alles war köstlich. In kürzester Zeit stöberte er vier kaputte Bälle, acht Eichhörnchen und an die dreiÃig Wildkaninchen auf. Nur Becky fand er nicht.
âSuch Becky!â, rief Tori. âWo ist das Pferd?â
Aber das erschien Washington zu blöd. Sie hatten doch schon zwei Pferde, was wollten sie mehr? Die Kaninchen waren viel interessanter.
Tori und Sina banden die beiden Quarterhorses an einem Metallstreben fest und begannen, sämtliche Lagerhallen und Ruinen zu durchsuchen. Sie zerkratzten sich die Arme an Dornen und Metallspitzen und schürften sich die Knie an Geröll und Schutt wund. Sie schauten in jeden Winkel. Aber vergeblich.
âSie ist nicht hierâ, seufzte Tori verzweifelt.
âSo ein Mistâ, murmelte Sina.
Sie setzten sich auf einen Mauerrest und streckten die schmerzenden, zerkratzten Beine aus.
Tori war zum Heulen zumute. Sie war sich so sicher gewesen, Hannesâ Versteck erraten zu haben. Wo konnte Becky nur sein? Was, wenn sie sie nicht rechtzeitig finden konnten?
Dann drängte sich das Bild des Jungen in ihre Erinnerung, wie er ohnmächtig und blutüberströmt auf der SchnellstraÃe gelegen hatte. Sie wollte den Gedanken mit aller Macht beiseiteschieben, aber es gelang ihr nicht. Es war zum Verzweifeln! Warum war das Leben bloà so kompliziert?
âIch wollt dich mal was fragenâ, sagte Tori. âWo wir schon mal allein sind.â
âWas denn?â
Tori räusperte sich. âStimmt es, dass du gesagt hast, dass ich eine Oberzicke bin?â
âWer behauptet das?â
âIst doch egal. Ich wollte nur wissen, ob es stimmt. Ob du das wirklich denkst.â
âNa jaâ, sagte Sina gedehnt. âIch kann mich zwar nicht daran erinnern, dass ich das gesagt habe. Aber gedacht hab ich mir das schon ein paarmal.â
âAha.â Tori schwieg.
âIst eben soâ, verteidigte sich Sina. âDu hast dich total verändert.â
âNee. Ich war schon immer so. Du hast dich verändert. Seit du mit Viktor zusammen bist, findest du mich nur noch bescheuert.â
âDas stimmt nicht.â
âNein?â
âNein. Es hat nichts mit Viktor zu tun. Es hat schon vorher angefangen.â
âNa, danke.â
âSorryâ, murmelte Sina. âAber du wolltest es ja wissen.â
âWas mach ich denn falsch?â
âDu bist so spöttisch. Und weiÃt immer alles besser und schaust auf die anderen runter und machst dich über sie lustig. Und über mich auch.â
âAber das mein ich doch nicht ernst. Das weiÃt du dochâ, rief Tori.
âFrüher wusste ich dasâ, sagte Sina. âAber heute bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich hab das Gefühl, dass ich dich gar nicht mehr kenne.â
âDochâ, beharrte Tori. âDu kennst mich. Ich bin immer noch die Alte. Tori. Deine beste Freundin.â Plötzlich hatte sie Tränen in den Augen.
Sie schwieg, um nicht loszuheulen. Sina schwieg ebenfalls.
âDu und Jonasâ, fragte Sina schlieÃlich. âSeid ihr jetzt zusammen?â
âNeinâ, sagte Tori schnell. âOder vielleicht dochâ, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu. âAber ich will nicht drüber reden. Weil es sonst nämlich gleich wieder aus ist.â
âDiesmal nichtâ, sagte Sina. âDa bin ich mir sicher.â
âEcht?â Tori hob verwundert den Kopf. âWarum?â
âWeil es das erste Mal ist, dass du dich in einen richtig netten Jungen verliebt hast. Diesmal funktioniertâs bestimmt.â
Tori lächelte. Sina
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