Torschlussmami: Eine Frau auf der Suche nach dem großen Babyglück (German Edition)
Leib und Seele Mutter zu sein ist, wie ich finde, eine ehrenwerte Aufgabe, aber trotzdem glaube ich nicht, dass ich damit klarkäme, ›nur‹ Mutter zu sein. Man nimmt den Müttern so bereitwillig ihre Identität weg, dass es die meiste Zeit gar nicht auffällt. Es ist fast so, als wäre alles ausgelöscht, wenn eine Frau ein Kind zur Welt bringt – oder vielleicht schon dann, wenn sich ihr Schwangerschaftsbauch abzeichnet – alles, was sie war, und alles, was sie zuvor erreicht hat.
Auf Scotts Geburtstagsparty muss ich an meine Angst vor dem Identitätsverlust denken. Scott ist ein Freund von Chris und ein hervorragender Gastgeber. Bestimmt hat er mal eines dieser Networking-Seminare besucht. Wenn er die Leute miteinander bekannt macht, dann nennt er nicht nur die Namen, sondern fügt auch ein paar persönliche Informationen hinzu, um Stichworte zu liefern, aus denen sich ein Gespräch entwickeln kann. Auf seiner Party stellt er mich den anderen Gästen mit folgenden Worten vor: »Das ist Kasey, die Freundin von Chris. Sie ist Management Consultant und schreibt ein Buch darüber, wie sehr sie ihren Job hasst.«
Dann stellt er mir eine Frau vor, die ein Baby in einem Gurt vor der Brust trägt. »Das ist Melanie, Henrys Mutter.«
Es besteht kein Zweifel, dass Henry die Aufmerksamkeit des ganzen Raums auf sich zieht, trotzdem hinkt Scotts Beschreibung. Melanie ist sicher mehr als ›nur‹ Henrys Mutter. Was hat sie gemacht, bevor sie ihn bekommen hat? Was macht sie jetzt, wenn sie sich nicht um Henry kümmert?
Später am Abend frage ich Melanie, wie sie es finde, als verlängerter Arm ihres Sohnes vorgestellt zu werden. Sie lacht und erwidert, das passiere so oft, dass sie es gar nicht mehr wahrnehme. Das ist ja noch beängstigender. Melanie hat nicht nur ihre Identität verloren, sie ist auch derart desensibilisiert, dass ihr gar nicht bewusst ist, ›nur‹ als Mutter wahrgenommen zu werden.
Melanie sagt, in der Schwangerschaft habe sie sich noch wie ein Individuum gefühlt. Die Leute erkundigten sich nach ihr – wie es ihr körperlich gehe, wie sie sich seelisch fühle und ob sie sich hinsetzen wolle. Das änderte sich, kaum war das Kind auf der Welt. Jetzt scheint sich keiner mehr für sie zu interessieren. Alles dreht sich um Henry.
Ich würde nicht im Traum daran denken, Henry das Rampenlicht zu verwehren. Er ist ein süßer kleiner Fratz, der viel Aufmerksamkeit verdient. Ich sehe auch, dass Melanie stolz ist, Henrys Mutter zu sein. Aber warum muss sie nur Henrys Mutter sein? Was ist mit all den anderen Sachen, die sie vorher war?
Melanie erzählt, selbst in der Müttergruppe reduzierten die Frauen sich darauf, ›nur‹ Mutter zu sein. Sie geht seit vier Monaten hin, und in der ganzen Zeit hat sie mit den Frauen in der Gruppe über nichts anderes als über das Muttersein und über Babys gesprochen.
»Ich könnte dir intime Details über eingerissene Brustwarzen vom Stillen und über die besten Einschlaftricks für Babys verraten, aber ich könnte dir nicht sagen, was die anderen gemacht haben, bevor sie ihre Kinder bekamen, beziehungsweise welche Interessen und Leidenschaften sie haben, abgesehen von ihren Kindern.«
Melanie trifft sich einmal in der Woche für ein paar Stunden mit den Müttern. In vier Monaten sind das über dreißig Gesprächsstunden, und trotzdem weiß sie über die anderen nichts, was außerhalb ihrer Rolle als Mutter stattfindet. Wie kann man eine freundschaftliche Beziehung auf der Basis von Brustwarzenverletzungen und Kinderberuhigungsstrategien aufbauen?
Ich bin entsetzt über Melanies Müttergruppe, aber es wundert mich nicht. Genau aus diesem Grund sind Eltern so verdammt langweilig, und genau darum gibt es einen großen Unterschied zwischen Eltern und Nicht-Eltern. Die frischgebackenen Eltern, die auch über etwas anderes reden können als über ihr Kind, muss ich erst noch kennenlernen. In meinem Kollegenkreis habe ich erlebt, wie ehemals tolle Gesprächspartner, Männer und Frauen – kultiviert, interessant und interessiert –, zu langweiligen Hüllen ihres früheren Ichs verkümmern. Es erstaunt mich, dass Menschen, die Eltern werden, irgendwie ihre Objektivität verlieren. Ihr Gesprächsrepertoire ist dann so umfangreich und kurzweilig wie das einer aufziehbaren Sprechpuppe.
»Der kleine Johnny hat letzte Nacht sechs Stunden durchgeschlafen.« Schnur ziehen. »Der kleine Johnny hat zum ersten Mal ›dada‹ gesagt.« Schnur ziehen. »Der kleine Johnny hat letzte
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