Torschlussmami: Eine Frau auf der Suche nach dem großen Babyglück (German Edition)
ich jetzt nicht einfach einen Rückzieher machen. Das Problem ist nur, dass mein Leben sich seitdem geändert hat. Ich kann nicht mehr einfach irgendwohin fliegen, weil ich alle ein bis zwei Tage einen Termin in der IVF -Klinik habe.
Als mein Chef mein Gesicht sieht, fragt er mich, was los sei. Ich weiß nicht, was ich ihm sagen soll. Aus Prinzip möchte ich mit ihm nicht über meine Unfruchtbarkeit sprechen, also beschließe ich, unkonkret zu bleiben: »Aus persönlichen Gründen kann ich momentan nicht reisen.«
»Kein Problem«, entgegnet er. »Dann erledigen Sie Ihre Dinge in den nächsten paar Tagen, und ich regle, dass Sie erst nächste Woche anfangen.«
»Ich kann auch nächste Woche nicht fliegen«, sage ich.
»Und wann können Sie fliegen?«
»Ich weiß nicht«, flüstere ich zerknirscht.
Ich weiche nicht absichtlich aus. Ich weiß es wirklich nicht. Bei manchen Leuten dauert die IVF-Therapie jahrelang. Wie bei meiner Bekannten Cathy, die sich über zwei Jahre behandeln ließ und mir erzählte, das Schlimmste daran, schlimmer noch als die emotionale Achterbahnfahrt und das Eindringen in die Privatsphäre, sei gewesen, ihr Leben in die Warteschleife schicken zu müssen. So war sie jahrelang nicht in der Lage, im Voraus zu planen. Sie konnte wegen des ewigen Kreislaufs aus Untersuchungen, Bluttests, Akupunktursitzungen, Eizellenentnahmen oder Embryotransfers weder mit ihrem Mann in Urlaub fahren noch sich mit Freunden treffen. Ich weiß noch, dass sie mir damals sagte, dass sie jeden Tag etwas zu erledigen habe. Selbst wenn sie nicht in die Klinik musste, musste sie sich entweder eine Spritze setzen oder das Nasenspray nehmen, und meistens musste das jeden Tag immer genau zur selben Uhrzeit passieren.
»Sie werden das wohl etwas genauer erläutern müssen«, sagt mein Chef.
Im Bruchteil einer Sekunde wäge ich meine Optionen ab. Soll ich lügen und ihm sagen, dass ich mich um ein krankes Familienmitglied kümmern muss? Soll ich ihm die halbe Wahrheit sagen und erklären, dass ich mich momentan in medizinischer Behandlung befinde? Ich kann mich nicht überwinden, ihm ins Gesicht zu lügen, und ich will auch nicht, dass er auf die Idee kommt, dass ich ein ernstes Gesundheitsproblem habe. Ich habe keine andere Wahl, als ihm die Wahrheit über meine IVF -Therapie zu sagen.
Er schlägt mir vor, die Behandlung zu verschieben, bis der Auftrag erledigt ist, sodass ich gezwungen bin, noch mehr private Informationen preiszugeben, die meine Firma eigentlich einen feuchten Dreck angehen.
»Ich kann das nicht verschieben. Das ist meine letzte Chance, überhaupt ein Baby zu bekommen.«
Kaum habe ich das B-Wort ausgesprochen, weiß ich, dass ich zwei berufliche Todsünden begangen habe, von denen meine Karriere sich nie wieder erholen wird. Die erste ist, dass ich Privatangelegenheiten mit Beruflichem vermische. Und indem ich den Auftrag ablehne, unabhängig davon, wie berechtigt meine Gründe auch sein mögen, habe ich bewiesen, dass ich der Firma keine blinde Loyalität und unerschütterliche Treue entgegenbringe. Ich bin es nicht wert, an dem Hot Desk zu sitzen, der extra für mich eingerichtet werden sollte, damit ich dort gelegentlich arbeiten kann. Noch schlimmer – weitaus schlimmer: Ich habe zugegeben, dass ich mir ein Kind wünsche. Kaum habe ich es ausgesprochen, rechnet mein Chef wahrscheinlich im Kopf aus, wie teuer der Produktivitätsverlust aufgrund von Vergesslichkeit während der Schwangerschaft sein wird, wie teuer die Lohnfortzahlungen im Mutterschutz werden und die Unannehmlichkeit dadurch, dass aus einer Angestellten eine unflexible Mutter wird, die an die Öffnungszeiten der Kita und die Bedürfnisse ihrer Kinder gebunden ist. Ich kenne Frauen, die sich sehnsüchtig ein Kind wünschen, aber im Berufsleben immer so tun, als wäre das Gegenteil der Fall. Nun weiß ich, warum.
Mein Chef nimmt meine Gründe für die Ablehnung des Projekts so elegant hin, wie man es erwarten kann. Er sagt, er werde alles mit der Geschäftsführung regeln, warnt mich aber, dass es nicht gut ankommen werde, wenn das nächste Jahresgespräch über den Bonus oder über eine Gehaltserhöhung fällig sei. Das Ergebnis ist bittersüß. Ich freue mich zwar, dass ich nicht auf Geschäftsreise muss, aber mir ist genauso bewusst, dass ich nun auf das Mami-Gleis abgeschoben werde. Die Mutterschaft schadet jetzt schon meinen Karriereaussichten – dabei bin ich noch nicht mal schwanger und werde es vielleicht nie
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