Torso
gekommen. Eric Hilger. Selbsttötung. Sie wollte, dass wegen Mordes ermittelt wird. Tanja hat sie damals zur Staatsanwaltschaft geschickt.«
Sina schaute verblüfft auf.
»Sie hatte vorletzte Woche einen Termin mit ihm? Bei uns im Büro?«
»Ja.«
»Und sie ist in Martins Wohnung gewesen?«
Brenner bejahte auch diese Frage, allerdings mit einem Kopfnicken, denn soeben kam das Essen.
»Dafür, dass du krankgeschrieben bist, hast du aber viele Fragen«, murmelte er dann. Sina lachte nicht über den schlechten Witz.
»Was wissen wir denn über sie?«
»Sie heißt Elin Hilger. Zwanzig, nein, einundzwanzig Jahre alt. Sie hat ja ihren letzten Geburtstag auf der Intensivstation gefeiert.«
Auch diese Bemerkung entlockte Sina kein Lächeln. Brenner aß ein Stück Lasagne und fuhr dann fort:
»Das Mädchen ist total asozial. Lebt in Hamburg, Hafenstraße. War jahrelang Straßenkind und ist jetzt in allen möglichen Anti-alles-Projektgruppen aktiv. Die Familie ist ziemlich kaputt. Mutter früh gestorben. Ihr Vater ist Edmund Hilger, ein Society-Starfotograf in Hamburg. So’n Schicki-Micki-Hengst, der seine Kinder wohl ziemlich vernachlässigt hat. Na ja. Sein Sohn hat sich wie gesagt vor ein paar Monaten hier in Berlin das Leben genommen. Und die Schwester hat das offenbar nicht gut verkraftet.«
Sina schob ihren Salat zur Seite und holte einen Notizblock aus ihrer Tasche. Brenner beobachtete sie argwöhnisch.
»Willst du nicht lieber gleich mit ins Büro kommen?«, fragte er. »Du wirkst gar nicht mehr so krank.«
»Hast du eine Ahnung, wie krank ich allmählich werde«, sagte sie. »Wie heißt der Bruder?«
»Eric Hilger.«
»Selbsttötung, sagst du?«
»Ja. Ende September. Ziemlich klarer Fall.«
»Hast du die Akte angefordert?«
»Ja.«
»Und?«
»Tod durch Erhängen. Der junge Mann hatte beträchtliche Schulden.«
»Und sonst? Keine Verbindung irgendeiner Art zu Zolli? Warum kommt denn die Schwester ausgerechnet zu ihm?«
Udo widmete sich erst einmal wieder seiner Lasagne und trank dann einen Schluck Bier, bevor er antwortete. »Das war mehr oder weniger Zufall. Zollanger hat die Akte im November überprüft, weil bei der Staatsanwaltschaft ein Nachermittlungsersuchen eingegangen war. Aber er hat der Akte keinerlei Hinweise auf Fremdverschulden entnehmen können und sie entsprechend zurückgeschickt. Vermutlich wurde das Mädchen deshalb an ihn verwiesen. Er hat die Akte zuletzt gesehen.«
Sina schrieb sich immer mehr Stichworte auf. Ihr Salat stand so gut wie unberührt neben ihr. Eine Fliege hatte sich auf einem Feldsalatblatt niedergelassen und rieb sich die Hinterbeinchen. Sina kümmerte sich nicht darum.
»Willst du nicht doch lieber gleich mit ins Büro kommen?«, fragte Brenner.
Sina schien ihn garnicht zu hören.
Hilger
schrieb sie auf ihr Blatt. Und daneben: Zieten.
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59
D ie Stille im kleinen Sitzungsraum des Verwaltungsgebäudes in der Klosterstraße war mit Händen greifbar. Die Anwesenden starrten fassungslos auf die Aufnahmen, die Jochen Friesers Laptop im Fünf-Sekunden-Takt auf die große Leinwand am Ende des Raumes projizierte. Britta Jungblut schloss mehrfach schockiert die Augen. Zietens Miene war eisig. Die drei Staatssekretäre neben Britta Jungblut wirkten wie erstarrt. Als die Projektionen zwischen den Torsi und den Detailaufnahmen des Lorenzetti-Gemäldes zu alternieren begannen, steckten zwei der Staatssekretäre die Köpfe zusammen und begannen, sich leise flüsternd zu unterhalten. Doch als die Großaufnahme des Schädels von Torso III auf der Leinwand erstrahlte, verstummte das Gespräch wieder. Frieser befand, dass er die Problematik ausreichend veranschaulicht hatte, und stoppte das Programm.
»Die Pressekonferenz ist morgen früh um zehn Uhr«, begann er. »Wir haben also nicht mehr sehr viel Zeit. Sie kennen jetzt die Fakten. Also. Was soll ich der Presse sagen?«
Britta Jungblut meldete sich als Erste zu Wort.
»Was ist denn bisher bekannt geworden? Haben wir überhaupt eine Chance, diese Sache klein zu halten?«
Frieser hatte darüber lange genug nachgedacht, um gleich antworten zu können: »Bis auf den tragischen Ausgang ist der Fall Zollanger eine innere Angelegenheit. Die Torso-Funde sind bis jetzt nicht an die Presse gelangt. Die Entführung von Frau Zieten ist bisher auch nicht an die Öffentlichkeit gekommen, und die Familie hat ein berechtigtes Interesse daran, dass das auch so bleibt. Allein der Vorfall in Reinickendorf hat sehr viel
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