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Torso

Torso

Titel: Torso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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mit der Sache nun weiter umgehen sollte. Die Staatssekretäre gingen laufend hinaus, um zu telefonieren. Und Frieser wollte gar nicht wissen, welche Gespräche sonst noch geführt wurden, während sie hier saßen und darauf warteten, klare Anweisungen zu bekommen.
    Schließlich war es so weit. Kurz vor einundzwanzig Uhr wurde er selbst ans Telefon gerufen. Der Oberstaatsanwalt war in der Leitung und erklärte ihm, was er zu tun hatte. Frieser machte sich so gut er konnte Notizen, obwohl ihm die Hand zitterte. Glaubten die wirklich, dass sie damit durchkommen würden? Zollanger ein geisteskranker Einzeltäter? Der unbekannte Tote ein privater Ermittler? Und das Mädchen? Mit dem Mädchen würde man reden müssen. Fürs Erste sei sie zufällig am Tatort gewesen, genauso wie der bosnische Asylantenjunge. Da beide unter Mordverdacht stünden, brauche er zu ihnen keine Angaben zu machen. Später werde man sehen, wie mit ihnen zu verfahren sei. Die ganze Strategie war so solide wie ein Haufen Mikadostäbe. Und er steckte mittendrin.
    »Ich kann das nicht für Sie machen, Frieser. Wir dürfen das jetzt nicht zu hoch hängen. Also: Bleiben Sie vage und kochen Sie das Ganze herunter auf den gemütskranken Hauptkommissar.«

[home]
60
    D ie Erinnerung wurde immer deutlicher. Während der Stunden, da sie die Decke über sich betrachtete, spulten sich die Szenen wie in einer Endlosschleife vor ihren Augen ab. Und je öfter sie sich jede Einzelheit vergegenwärtigte, desto unschlüssiger wurde sie.
    Sie hatte sich in einem der Kellergänge hingehockt und gewartet. Das wusste sie noch. In regelmäßigen Abständen hatte sie gegen die Heizungsrohre geklopft, um Mirat herbeizurufen. Aber er war nicht gekommen. Vielleicht war er in der Nähe gewesen. Aber sie hatte ihn weder gesehen noch gehört. Und dann hatte sie Schritte wahrgenommen. Jemand näherte sich vorsichtig und rief leise ihren Namen. Elin. Elin.
    Sie hatte um die Ecke geschaut und einen Schemen gesehen. Elin, hörte sie erneut die Stimme, die sie jetzt eindeutig wiedererkannte. Sie hatte leise »Hier« gerufen, und dann war Zollanger bei ihr gewesen.
    Sie sprachen nur kurz miteinander. Sie war panisch vor Angst gewesen und hatte Mühe gehabt, ihm zuzuhören. Sie solle ihm vertrauen. Er würde sie hier herausholen. Dann hatte er ihr die Steinschleuder abgenommen und war damit verschwunden. Und noch bevor sie Gelegenheit gehabt hatte, über alles nachzudenken, hatten sich die Ereignisse überstürzt. Sie hatte Schritte gehört und gedacht, Zollanger käme zurück. Sie war in den Gang hinausgetreten. Da krachte ein Schuss. Etwas Heißes war in ihrer Brust explodiert, und sie war gestürzt. Dann krachte ein zweiter Schuss. Im Blitzlicht des Mündungsfeuers sah sie, dass Zollanger direkt hinter ihr im Gang stand. Dann krachten drei weitere Schüsse. Nach jeder Explosion hörte sie, wie die Geschosse mit einem dumpfen und zugleich schmatzenden Geräusch in Zollanger einschlugen. Sie sah im Blitzlicht der Schüsse, wie sein Hals aufriss und eine dunkle Blutfontäne daraus emporschoss.
    Sie versuchte, aufzustehen, wegzulaufen, aber ihre Beine versagten den Dienst. Dann war ihr übel und schwindelig geworden. Plötzlich hörte sie eine Stimme. Zollanger? Nein, das konnte nicht sein. Wer sprach da?
    Es sei für alles gesorgt, sagte die Stimme wie aus endloser Ferne. Ihr werde nichts geschehen. Aber sie müsse schweigen, alle Aussagen verweigern. Es werde sich im richtigen Moment ein Zeuge melden. Man könne ihr nicht sagen, wann, aber er werde im richtigen Augenblick in Erscheinung treten. Sie müsse Vertrauen haben. Keinerlei Aussage. Ob sie Mut habe? Ob sie wirklich der Wahrheit dienen wolle? Ob sie willensstark genug sei, den Behörden die Stirn zu bieten?
    Und dann hörte sie nichts mehr. Als sie wieder zu sich gekommen war, lag sie in diesem Bett.

[home]
61
    Z ieten schenkte Marquardt ein und stellte die Weinflasche auf dem Beistelltisch neben dem Kamin ab. Das Feuer brannte ruhig, und die beiden Männer überließen sich vorübergehend der hypnotisierenden Wirkung der Flammen. Nach einer Weile brach Marquardt das Schweigen.
    »Vielleicht ist es das Beste, dass Aivars tot ist. Er war einfach nicht zu kontrollieren. Erst hängt Hilger sich auf. Jetzt exekutiert er diesen Kommissar. Glaubst du mir jetzt endlich, dass wir für die Eskalation nicht verantwortlich sind?«
    Zieten schürte das Feuer, trank noch einen Schluck, lehnte sich dann leicht nach vorn und stützte die

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