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Torso

Torso

Titel: Torso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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aufgebracht, aber Zieten ließ ihn nicht zu Wort kommen.
    »Ich werde mir Ihre Einwände gerne anhören. Aber lassen Sie mich bitte aussprechen. Diese Enteignung kann man klug einfädeln, und das habe ich im Auftrag der Beteiligten auch getan. Furchtbare Wahrheiten kann man durchaus so verpacken, dass das Opfer stillhält. Man muss ihm nur klarmachen, dass jeglicher Widerstand den Schmerz steigert. Und dafür ist die Zeitfrage von zentraler Bedeutung. Sie müssen verhindern, dass irgendetwas von diesen Vorgängen zu früh an die Öffentlichkeit gelangt. Verstehen Sie das?«
    »Ihre Vorwürfe sind unerträglich«, stieß Staatssekretär Weber entrüstet aus.
    »Vorwürfe? Ich mache Ihnen doch keine Vorwürfe, meine Herren. Sie haben doch nur getan, was der Wähler von Ihnen gefordert hat. Und ich führe es aus. Wir sind die armen Schweine, die den Kopf hinhalten müssen für eine Gesellschaft, die uns mit ihren maßlosen Ansprüchen vor sich hertreibt. Wir tun Dinge, für die keiner von uns wirklich die Verantwortung übernehmen
kann,
sollten sie einmal schiefgehen. Aber man zwingt uns dazu. Und wir tun es. Aus Pflicht. Im Namen von Sicherheit und Wohlstand nehmen wir Risiken in Kauf, die jenseits jeglicher Verhältnismäßigkeit liegen. Wir müssen es tun, weil uns die Volksmeute andernfalls zerreißt. Das ist die traurige Wahrheit. Sie sind sowohl Täter als auch Opfer, genauso wie ich.«
    Der Protest, der sich auch auf den Gesichtern der anderen angedeutet hatte, fiel zunächst wieder in sich zusammen.
    »Lassen Sie mich Klartext reden«, hob Zieten wieder an. »Die Volkskreditgesellschaft VKG sitzt durch ihre Immobilientochter Treubau TBG auf faulen Krediten in Höhe von gegenwärtig fünf bis zehn Milliarden Euro. Da die Fonds, in denen diese Kredite schlummern, eine Laufzeit von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren haben, können diese Verluste leicht auf dreißig Milliarden anwachsen.«
    Die Staatssekretäre wurden blass. Weber reagierte genau wie Jochen Frieser zwei Wochen zuvor: »Entschuldigen Sie, Herr Zieten. Sie meinen doch wohl Millionen?«
    »Nein, Herr Weber. Milliarden. Das Kreditrisiko ist größer als der gesamte Landeshaushalt. Daher sprach ich ja auch von einem Abgrund.«
    »Aber … wie um alles in der Welt konnte das passieren?«
    »Das jetzt aufzuklären ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können«, sagte Zieten. »Sie müssen dem Eisberg ausweichen. Danach können wir die Logbücher studieren. Die VKG ist ein Zusammenschluss von öffentlichen und privaten Banken. Wenn die VKG zusammenbricht, haftet das Land. Das war damals die Voraussetzung dafür, dass die VKG international überhaupt ins Rennen gehen konnte. Diese Konstruktion ist natürlich verfassungswidrig. Solange sie erfolgreich war, und das war sie ja die letzten Jahre, hat niemand Fragen gestellt. Das wird sich sehr schnell ändern, wenn das nächste Jahresergebnis veröffentlicht wird.«
    Zieten spürte, dass seine Zuhörer ihm nicht wirklich folgen konnten.
    »Der Zug entgleist auf jeden Fall diesen Sommer«, wechselte er zu einem Bild. »Sie müssen entscheiden, ob Sie ihn auf den leeren Feldern vor der Stadt stoppen oder ihn ungebremst ins Zentrum hineinrasen lassen. Um den Zug auf dem leeren Feld zu stoppen, müssen Sie die Stadtbewohner jedoch zwingen, bildhaft gesprochen, ihr gesamtes Hab und Gut dort auszuschütten. Wenn Sie das zu früh fordern, wird man Ihnen entweder nicht glauben, oder man wird versuchen, sich davor in Sicherheit zu bringen. Wenn Sie zu lange warten, ist es zu spät. Sie müssen diesen Rettungswall aufschütten. Der richtige Zeitpunkt ist dabei alles. Nur dann wird der Überlebensreflex die gewünschte Reaktion zum richtigen Zeitpunkt auslösen.«
    Die Diskussion, die sich nun entspann, dauerte fast drei Stunden. Da niemand im Saal letztgültige Entscheidungsbefugnisse hatte, wurden die Gespräche öfter unterbrochen, da per Telefon Weisungen eingeholt werden mussten. Jochen Frieser saß die meiste Zeit stumm da und versuchte, aus den immer komplizierter werdenden Diskussionen zwischen Zieten und den Staatssekretären herauszufiltern, welche Strategie er sich für die Pressekonferenz am nächsten Tag überlegen sollte. Die Journalisten würden ihn mit Fragen nur so löchern. Und er hatte auf keine einzige Frage eine klare Antwort. Frieser konnte regelrecht spüren, wie über ihren Köpfen hektisch nach einer Lösung gesucht wurde. Aber selbst dort oben schien man heillos zerstritten zu sein, wie man

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