Torso
beäugte sie argwöhnisch.
»Hier«, sagte er und reichte ihr das Seil.
Elin schnitt ein Stück von einem Meter Länge ab, legte es neben das Maßband und fotografierte das Seil.
»Warum tust du das?«, fragte Cemal.
»Ich erkläre es dir nachher, wenn du willst. Aber erst muss ich sehen, ob meine Vermutung zutrifft. Setzt du dich bitte kurz hier hin?«, bat sie und deutete dabei auf den Stuhl neben sich.
Cemal tat es.
»Streck bitte deine Hände aus.«
Cemal folgte ihrem Wunsch. Elin legte das Seil über seine beiden Handgelenke, wickelte es dreimal herum und verknotete es.
»Was soll das?«, fragte Cemal unsicher.
»Ein Experiment«, antwortete Elin, nahm das Brotmesser und schnitt die Fesselung an einer einzigen Stelle durch. Sie sammelte die Seilstücke auf und legte sie neben dem Maßband auf dem Tisch ab. Cemal wartete, aber Elin rührte sich nicht. Sie stand einfach, starrte vor sich auf den Tisch und sagte nichts. Er erhob sich und trat neben sie. Jetzt erst sah er, dass sie Tränen in den Augen hatte.
»Was … was ist denn?«, fragte er leise.
Sie deutete auf die Seilstücke.
»Im Obduktionsbericht stand, dass man ein paar Meter von Erics Leiche entfernt drei fast gleich lange Seilstücke gefunden hat. Eine Erklärung dafür hat niemand.«
Cemal wusste nicht, was er sagen sollte. Ein leises Geräusch an der Tür ließ ihn herumfahren. Nuran stand da und schaute ihn mit ihren schwarzen Augen zornig an. Elin richtete das Objektiv ihrer Kamera auf den Tisch, schoss rasch zwei Bilder und packte ihre Sachen.
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14
S ie trafen sich am Samstagmorgen um zehn Uhr im Besprechungsraum. Die Leinwand war heruntergelassen. Harald Findeisen hatte einen Laptop vor sich stehen, Günther Brodt schaltete an einem Beamer herum, der an der Stirnseite des Raumes auf einem Projektortisch stand. Die anderen saßen um den großen Tisch herum und unterhielten sich leise. Die Anlage war brandneu, und keiner wusste damit umzugehen. Irgendwann erschien endlich ein dunkelblaues Feld auf der Leinwand. In der unteren linken Ecke lief ein Count-down. Als er bei Null angelangt war, verschwand die blaue Fläche, und eine Großaufnahme des Lichtenberger Torsos erschien. Augenblicklich wurde es still im Raum.
Genau so hatten Zollanger, Findeisen, Draeger und der Kriminalbeamte aus Lichtenberg das Ding gestern gefunden. Das Objekt lehnte an einem Betonpfeiler. Aus der Ferne sah man nur den Ziegenkopf. Der Torso war durch eine dunkelblaue Schärpe verhüllt. Ein goldfarbener Schal war mehrfach um den Halsbereich geschlungen. Die Lider des toten Tieres waren halb geschlossen.
Findeisen ließ seine Auswahl der Tatortaufnahmen Foto für Foto vorüberziehen. Zollanger betrachtete die Aufnahmen und musterte gleichzeitig die Mienen seiner Kollegen. Die Show dauerte etwa zwei Minuten. Die Nahaufnahmen waren ekelhaft. Und je näher Findeisen die Einzelheiten heranzoomte, desto weniger schienen die Bilder auszusagen.
»Thomas«, sagte Zollanger, an Krawczik gewandt, »wie wäre es, wenn du heute mal moderieren würdest?«
»Gut«, antwortete Krawczik. »Fangen wir mit den Tatorten an. Harald. Günther. Was habt ihr für uns?«
»Wir haben sechs verschiedene Schlaflager in der Abrissplatte entdeckt«, sagte Findeisen, »allerdings keines im achten Stock.«
»Habt ihr einen der Penner befragen können?«
Zollanger lehnte sich zurück und hörte zu. Er spürte, dass Sina ihn anschaute, aber er sah bewusst nicht zu ihr hin.
»Nein. Bisher haben wir noch keinen ausfindig machen können«, sagte Findeisen.
»Irgendwelche auffälligen Gegenstände?«
»Nein. Nur das Übliche. ALDI -Tüten mit Pennermüll.
»Was ist mit Fußspuren?«
»Es gibt jede Menge«, antwortete jetzt Günther Brodt. »Um das Gebäude herum wurde letzte Woche noch gearbeitet.«
»Also tagsüber Baustellenbetrieb und nachts Obdachlose.«
»Ja.«
»Wie viele Leute insgesamt?«
»Ein paar Dutzend. Mindestens.«
Krawczik wandte sich an Roland Draeger. »Haben wir die Namen der Firmen und des Gebäudeeigentümers?«
»Ja. Das Gebäude gehört einer Berliner Investmentgesellschaft. Die Bauleitungsfirma habe ich auch. Soll ich anfragen, wer letzte Woche auf dem Gelände war?«
»Ja«, sagte Krawczik. »Was sonst noch? Wie ist das Ding dorthin gekommen? Habt ihr irgendein Transportmittel gefunden?«
Findeisen und Brodt schüttelten gleichzeitig die Köpfe.
»Keinen Rollkoffer? Oder eine Sackkarre? Eine Person kann den Torso ohne Gerät schwerlich
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