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Torso

Torso

Titel: Torso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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kein ruhiges Wochenende haben! Dafür würde sie sorgen.
    »Kommst du mit zu uns?«, fragte Cemal, als sie fertig waren. »Mittagessen?«
    »Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?«, fragte Elin.
    »Natürlich. Warum denn nicht?«
    »Hast du Nuran gefragt?«
    Cemal drehte die Augen zum Himmel.
    »Nuran hat nichts gegen dich. Und Yesmin liebt blonde Mädchen. Komm schon. Du musst auch kein Fleisch essen.«
    Elin war skeptisch, nahm die Einladung aber doch an. Sie brauchte fast eine Stunde für die Strecke. Aber wie immer bescherte ihr das Fahrradfahren einen klaren Kopf. Kein Bulle hatte sich ernsthaft mit dieser Sache beschäftigt. Das war sicher. Die Fotos, die sie gemacht hatte, sprachen Bände. Aber während sie durch den einsamen Wald radelte, fiel ihr ein noch merkwürdigeres Detail aus dem Untersuchungsbericht ein. Die Seilstücke. Sie waren erst am zweiten Tag gefunden worden. Zwei Polizisten hatten den Fundort von Erics Leiche untersucht und in geringer Entfernung drei fast gleich lange Seilstücke sichergestellt. Sie waren mit dem Strangmaterial identisch. Warum die Stücke indessen dort herumlagen, wurde nirgendwo erklärt.
    Elin grübelte während der ganzen Fahrt nach Kreuzberg darüber nach. Sie hatte eine Idee. Aber als Nuran ihr die Tür öffnete und die kleine Yesmin begeistert Elins linkes Bein umarmte, vergaß sie ihren Einfall vorübergehend.
    Cemals und Nurans Wohnung war nicht groß. Dafür besaß die ebenerdig gelegene Altbauwohnung nach hinten einen kleinen Garten, der im Winter zwar kaum zu nutzen war, dafür aber einen Blick auf Sträucher und einen Obstbaum bot. Der Hauptraum wurde als Wohn- und Esszimmer genutzt. Überall lag Kinderspielzeug herum. Nuran versuchte, freundlich zu sein, aber Elin spürte, dass die Frau sie nicht mochte und es völlig überflüssig fand, dass Cemal sie eingeladen hatte. Reichte es nicht, dass ihr Mann ihr bereits den ganzen Samstagmorgen geopfert hatte? Misstrauisch beäugte sie die Taschen mit den Klettergeschirren, die Cemal im Flur abgestellt hatte und die eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die kleine Yesmin auszustrahlen schienen. Immer wieder zog das Kind an den Seilen. Elin verstand die türkischen Worte nicht, mit denen Nuran ihren Mann plötzlich angiftete, aber da Cemal die beiden Taschen rasch in ein anderes Zimmer brachte, konnte sie es sich auch so zusammenreimen.
    Das Essen war vorzüglich. Tarhanasuppe, Pilaw, Yufkataschen mit Schafskäse und Spinat, Gemüseragout und Kichererbsenpüree. Das Lammfleisch rührte Elin nicht an, was aber kommentarlos akzeptiert wurde. Die meiste Zeit über sprach Cemal. Über seinen Laden. Über Kreuzberg. Über die Frage, in welchen Kindergarten Yesmin gehen sollte. Nuran sagte fast nichts. Dennoch hatte Elin das Gefühl, dass sie ohnehin alles entschied.
    »Es schmeckt ganz wunderbar«, sagte Elin irgendwann, was Nuran für etwa eine halbe Sekunde ein Lächeln auf das ansonsten abweisende Gesicht zauberte. Mehr Gelegenheiten, die frostige Atmosphäre zu lockern, boten sich nicht. Kaum war das Essen beendet, verschwand Nuran, die heftig protestierende Yesmin an der Hand, die gerne noch länger die blonden Härchen auf Elins Unterarmen untersucht hätte.
    Cemal schaute peinlich berührt vor sich auf den Tisch, versuchte aber erst gar nicht zu erklären, was er nicht erklären konnte.
    »Trotzdem vielen Dank«, sagte Elin. »Für alles. Du hast mir heute sehr geholfen.«
    »Keine Ursache. Was willst du jetzt machen?«
    »Ich werde den Chef dieser Polizeiabteilung aufsuchen und ihm meine Meinung sagen.«
    Cemal schüttelte skeptisch den Kopf. »Und dann? Was versprichst du dir nur davon? Der wird dich doch gar nicht empfangen. Mit der Polizei kann man nicht reden. Höchstens, wenn die was von dir wollen.«
    Elin legte den Kopf schief. Dann lächelte sie. »Da hast du etwas sehr Interessantes gesagt.«
    Cemal begriff nicht. Aber bevor er weitersprechen konnte, kam Elin ihm zuvor. »Darf ich dich noch um einen letzten Gefallen bitten? Nur eine Kleinigkeit?«
    »Klar. Bitte.«
    »Ich brauche das Seil. Das aus dem Wald.«
    Cemal erhob sich langsam.
    »Dauert es lange?«, fragte er. »Du weißt schon, Nuran ist irgendwie allergisch gegen dieses Kletterzeug.«
    »Ein paar Minuten, Cemal. Nur das Seil.«
    Cemal ging ins Nebenzimmer und holte das Verlangte. Als er zurückkam, hatte Elin ein Maßband auf dem Tisch ausgerollt. Ihre Digitalkamera lag daneben. In der rechten Hand hielt sie das Brotmesser. Cemal

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