Torso
und schaute sich um. Es gab nicht viele Eichen. Nadelwald dominierte. Tannen und Kiefern. Egal, in welche Richtung man schaute, sah man entweder kahle Kiefernstämme oder Gebüsch. Eine kleine Gruppe von Tannen schirmte den Ort vor Blicken ab, wenn man vom Waldparkplatz her kam. Spaziergänger würden nicht ohne weiteres hierherfinden. Der Ort war leicht zugänglich und dennoch isoliert. Das Heulen einer Flugzeugturbine war in der Ferne vernehmbar. Aber der Lärm war gedämpft. Sonst war hier nichts zu hören. Auch nicht die Autos auf der Schulzendorfer Chaussee.
Elin ging zu dem aufgeschichteten Holzstoß und schaute zu einem starken Ast hinauf, der aus dem Stamm der Eiche herausragte. Dort oben war das Seil befestigt gewesen. Sie setzte vorsichtig einen Fuß auf den obersten Birkenstamm, stemmte sich auf den Stapel hinauf und richtete sich auf. Sie streckte die Arme aus und versuchte, den Ast zu umfassen. Aber ihre Fingerspitzen streiften nur die Rinde. Eric war einen Kopf größer als sie gewesen. Hätte er den Ast umfassen können, um ein Seil daran festzuknoten? Oder hatte er die Birkenstämme noch höher aufgeschichtet?
Sie sprang wieder von dem Stapel herunter. Zwischen den Bäumen schien sich etwas bewegt zu haben. Sie kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt in das Dickicht hinein. Aber sie konnte nichts sehen. Der Wald war nun wieder völlig still. Nichts regte sich. Nur ihr Herz, das ängstlich pochte. Dieser Ort war schon tagsüber unheimlich.
Sie machte sich auf den Rückweg zum Waldparkplatz. Mehrmals musste sie hochstehenden Wurzeln ausweichen. Wenn es schon bei Tageslicht nicht einfach war, hier durchzukommen, wie sollte man dann erst nachts diesen Weg bewältigen? Ohne eine Lampe. Und ohne Ortskenntnis. Oder war Eric zuvor schon einmal hier gewesen? Aber wozu?
Als sie den Waldrand erreichte, entdeckte sie Cemals grünen Opel Corsa. Der Motor lief, und Cemal saß noch im Wagen. Eine verkleckste Tapezierleiter lag mit Spanngurten festgezurrt auf dem Dachgepäckträger. Elin ging auf den Wagen zu. Das Motorengeräusch erstarb. Cemal stieg aus.
»Du bist echt mit dem Fahrrad hier rausgekommen?«, fragte er. »Bei der Schweinekälte. Mann, das ist einfach hammerhart. Ich hätte dich doch abgeholt.«
Sie gab ihm die Hand, ging dann zum Kofferraum, öffnete ihn und holte die beiden Taschen mit den Seilen und dem Klettergerät heraus.
»Ich bin doch sowieso gefahren«, sagte er. »Wo ist also der Unterschied?«
»Der Unterschied ist, dass du dich dann nicht aufregen würdest.«
»Ich rege mich doch gar nicht auf.«
»Warum kommst du dann immer auf dieses Thema zurück? Du kennst doch die Antwort. Ich setze mich in kein Auto. Punkt. Reicht dir das nicht?«
Cemal schüttelte den Kopf. »Kein Auto. Kein Döner. Kein Bargeld. Das soll einer kapieren.«
»Shell. Schlachthäuser. Shareholder. Was ist da so schwer zu kapieren?«
Cemal ließ die Verschlüsse der Spanngurte aufschnappen und zog die Leiter vom Dach herunter.
»Und du glaubst im Ernst, dass deine Radelei und deine Möhren irgendetwas an der Welt ändern?«
»Klar. Sicher.«
»So. Was denn?«
»Ich muss nicht mehr so oft kotzen, wenn ich in den Spiegel schaue.«
Cemal öffnete den Mund, aber es kam keine Antwort. Schließlich drehte er die Augen zum Himmel, schulterte die Leiter und stapfte hinter ihr her auf den Wald zu.
Die erste halbe Stunde verbrachte Elin damit, den Holzstapel ab- und wieder aufzubauen. Sie stellte fest, dass es ganz schön schwierig war, die unterschiedlichen Blöcke so anzuordnen, dass sie stabil aufeinanderlagen. Mehr als sechs Lagen schaffte sie nicht. Cemal wollte helfen, aber sie wehrte ab. Wenn Eric angeblich allein hier gewesen war, dann musste sie auch alle Vorgänge alleine rekonstruieren.
Als die sechs Lagen aufgeschichtet waren, stieg sie auf den Stapel und prüfte, ob sie jetzt ein Seil an dem Ast festbinden konnte. Ohne große Mühe gelang es ihr, das Seilende über den Ast zu werfen und darunter zu verknoten.
»Wie war das Seil denn befestigt?«, wollte Cemal wissen.
»Ich weiß es nicht genau«, sagte Elin. »Tatortfotos haben die uns keine gezeigt. Nur Protokolle.«
Sie schaute ihre Hände an. Sie starrten vor Schmutz. An manchen Stellen klebte Harz auf ihrer Haut.
»Jedenfalls stand nirgendwo, dass Eric schmutzige Hände gehabt hat. Hast du deine Kamera dabei?«
Cemal nickte und zog eine kleine Canon aus der Innentasche seines Mantels. Elin streckte ihre Hände aus. Cemal schoss
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