Torstraße 1
sich, aber es tut nicht weh.
Eine Kellnerin kommt an den Tisch und fragt, was Bernhard möchte.
»Ich hab kein Westgeld«, platzt er heraus und schämt sich im gleichen Augenblick. Gott, ist er dumm.
»Ick hab nich jefragt, wat Se nich haben, sondern wat Se haben wolln«, sagt die Kellnerin und grinst. Also bestellt er ein Kännchen Kaffee, und die Kellnerin geht. Elsa grinst auch.
Bernhard kramt in der Aktentasche, holt die Filmrollen hervor und schiebt sie über den Tisch. »Ich habe das Haus fotografiert. Von innen und außen. Von oben bis unten. Wie es jetzt aussieht. Für deine Sammlung.«
Elsa strahlt, presst die Filmrollen ans Herz und küsst Bernhard auf den Mund. Das verschlägt ihm erst mal die Sprache, aber Elsa scheint ihre wiedergefunden zu haben. Sie spricht von Jonas und von Stephanie, die letzte Woche ein kleines Mädchenbekommen hat, grüßt von Elsie, der sie erzählt hat, dass man sich heute trifft, auch von ihrem Hanns redet sie, nur nicht von Vicky. So lange, bis Bernhard fragt, wie es ihr ohne sie ginge. Elsa wird stumm. Schaut aus dem Fenster und zupft an ihren Ohrringen herum, schönen Ohrringen mit leuchtend grünen Steinen, die er noch nie an ihr gesehen hat.
»Da können wir ja jetzt beide mal hingehen, wenn du möchtest«, sagt sie. »Auf den Friedhof. Vicky liegt auf einem kleinen Hügel, hat sich den Platz vorher ausgesucht. Hat lange gewusst, dass es zu Ende geht. Und Elsie auch. Aber mit mir hat sie nicht geredet. Ich wusste nichts von Vickys krankem Herzen.« Elsa fängt an zu weinen, und Bernhard ist auch ein bisschen zum Heulen zumute. Nun ist es an ihm, zu reden und zu reden, bis Elsas Tränen versiegen und sie ihn lächelnd ansieht.
»Ich muss dir auch noch was erzählen«, sagt Elsa plötzlich. Bernhard braucht eine Weile, bis er begreift, dass es hier zwar um eine alte Geschichte geht, aber eine, die es in sich hat. Harry Grünberg ist Elsas Vater, so viel hat er kapiert. War, denn auch der ist gestorben inzwischen. Manche Dinge rücken an ihren Platz, wenn man das nun weiß.
»Dann habt ihr ja in der Villa deines Vaters gelebt«, entfährt es Bernhard, und damit bringt er Elsa beinahe wieder zum Weinen.
Die große Wiedersehensfreude ist einer großen Ratlosigkeit gewichen. Wie können sie sich aneinander freuen und festhalten, nach der langen Zeit, wo alles erst einmal als neue Nachricht daherkommt und geschluckt werden muss. Er versucht es mit etwas Vertrautem.
»Weißt du noch«, sagt er und erzählt vom Jonass, ihrem Haus. Von ihren Versteckspielen während der Weißen Wochen. Etwas, was Elsa ganz sicher weiß und worauf sie antworten muss: »Oh ja! Und weißt du noch …«
Stattdessen sagt sie etwas ganz anderes. »Weißt du, Bernhard,ich habe gerade eine Bürgerinitiative gegründet, zur Rettung unseres Hauses.«
Damit kann Bernhard nichts anfangen. Wieso sollte das Haus gerettet werden müssen, es steht doch, und er geht fast jeden Tag zur Arbeit dort ein und aus.
»Wir wollen, dass es ein Museum wird«, sagt Elsa. »So lange, bis man die Erben gefunden und sich mit ihnen geeinigt hat. Ein öffentliches Museum, in dem man sich über das Kaufhaus informieren kann, über das Jonass, die Grünbergs, die Nazis und was sie mit dem Haus gemacht haben. Und darüber, was die SED dann damit gemacht hat. Das sollten doch alle wissen, wie das war. Nun, wo ein Neubeginn möglich ist.«
Das will er jetzt nicht glauben. Lieber redet er wieder mit Elsa über die tote Vicky oder die verschollene Gertrud Grünberg. Aber solch einen Blödsinn muss er sich nicht antun. Doch er sieht, wie ernst es Elsa meint. Sie schaut ihn mit glänzenden Augen an und wartet darauf, dass er die Idee toll findet. Unglaublich.
»Du willst aus meinem Arbeitsplatz ein Museum machen?«, fährt er sie an. »Für dich sind wir also schon tot und vorbei, ja? Gründest in Westberlin eine Bürgerinitiative«, er spuckt das Wort aus, als sei es ein Brechmittel, »um aus meinem Arbeitsplatz ein Museum zu machen. Willst du mich da gleich mitausstellen, oder soll ich den Pförtner geben?«
Elsa rückt mit ihrem Stuhl ein winziges Stückchen zurück. Gerade so viel, dass Bernhard sieht, wie sehr er ihr Angst macht in diesem Moment. Dafür scheint er ja ein wahres Talent zu haben, den Frauen Angst zu machen mit seiner Wut. Er dreht sich um, winkt der Kellnerin und signalisiert, dass er einen Kognak will. Auf Elsas Kosten möchte er sich jetzt und hier besaufen. Alle denken, man kann mit ihm machen, wozu man
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