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Torstraße 1

Torstraße 1

Titel: Torstraße 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybil Volks
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du nach einem Kaufhaus!« Erst als sie selbst ihrem Sohn versicherte, dass er nach dem wundervollsten Haus der Welt benannt sei, in dem Mama geboren wurde und Oma Vicky und Tante Elsie gearbeitet hatten, breitete sich ein Lächeln auf Jonas’ tränenverschmiertem Gesicht aus. Dafür war jetzt Steph beleidigt. »Und ich bloß nach Daddy?« Nun war es an Daddy, beleidigt zu sein. Am Ende hatte sie vor halb vollen Tassen und Cornflakesschalen alleine am Tisch gesessen.
    Elsa biegt in ihre Straße und nähert sich der Wohnung, in der sie inzwischen nur noch mit Jonas lebt. Wo kommt dieser Krach her, fragt sie sich und schaut unter der nächsten Laterne auf die Uhr: schon zwei! Die ohrenbetäubende Musik kommt nicht nur aus ihrer Straße, sondern aus ihrem Haus. Und das bei den spießigen Nachbarn? Irgendwie kommt ihr dieses Gejaule bekannt vor. Oh nein … bitte nicht! Mit zitternden Fingern schließt sie die Haustür auf, hastet die Stufen hoch. Im zweiten Stock prallt sie beinahe gegen eine Tür, die vor ihrer Nase aufgerissen wird.
    »Hab schon die Polizei gerufen!« Frau Römer knallt die Tür wieder zu.
    Elsa läuft weiter und macht einen Schritt zurück, als sie ihre Wohnung betritt, so laut schlägt ihr die Musik entgegen. Dann rennt sie durch den Flur in das Zimmer ihres Sohnes und stolpertüber die im Weg stehenden Kartons. »Verdammt noch mal, Jonas!«, brüllt sie gegen den Krach an. »Stell das sofort aus!«
    Jonas liegt im Halbdunkel auf seiner Matratze und rührt sich nicht. Ihm wird doch nichts passiert sein? Sie stürzt zu ihm. Da rappelt er sich hoch, nimmt die Kopfhörer ab und zuckt zusammen.
    »Oh, fuck!« Jonas schaut sie mit glasigen Augen an, wankt zum Plattenspieler und legt einen Schalter um. Jetzt kommt der Krach nicht mehr aus den Boxen, nur noch aus den extra isolierten Kopfhörern, die er sich wieder aufsetzen will.
    Elsa reißt ihm die Hörer aus der Hand und stellt die Anlage ganz aus. Stille! Eine ohrenbetäubende Stille. »Bist du völlig übergeschnappt? Was soll das sein?«
    »Das?« Jonas fährt sich durch die langen Haare und gähnt. »Jefferson Airplane.« Und setzt hinzu, als sie ihn fassungslos anschaut: »›Surrealistic Pillow‹. Eins ihrer besten Alben.«
    Es klingelt Sturm. Die Polizei!
    »Weißt du was«, sagt Elsa und schiebt ihren Sohn, der sie um einen Kopf überragt, bis zur Wohnungstür vor sich her. »Das kannst du denen erklären.«
    Sie traut ihren Ohren nicht, als sie ihn kurz darauf zu den Beamten sagen hört: »Finden Sie nicht auch, dass ›White Rabbit‹ ziemlich überschätzt wird?«
    Die Polizisten haben sich nicht so sehr für ›White Rabbit‹ interessiert, mehr für das Recht der Mitbürger auf Nachtruhe. Jonas hat eine Anzeige wegen Ruhestörung am Hals, und sie ist an ihre Aufsichtspflicht als Mutter eines minderjährigen Sohnes erinnert worden. Meine Güte, der Sohn wird bald siebzehn. Doch für die Polizisten schien es keinen anständigen Grund zu geben, warum eine Mutter, egal wie alt ihre Kinder sein mochten, nachts um zwei nicht zu Hause war. Und als sie, um für ein wenig Nachsicht zu werben, erklärte, der Junge sei vielleichtetwas durcheinander, da seine Eltern heute geschieden wurden, warfen sie ihr einen Blick zu, der besagte: Aha, zerrüttete Familie. Na, kein Wunder.
    Und, ist das so?, fragt sich Elsa vor dem Badezimmerspiegel, während sie in der Schublade nach einer Kopfschmerztablette kramt. Ist unsere Familie zerrüttet? Sind die Kinder unseretwegen verstört? In der Küche lässt sie die Tablette in ein Glas Wasser fallen. Ihr Blick gleitet über die offenen Pappkartons, die an einer Wand gestapelt stehen. Manche sind halb voll mit Töpfen und Geschirr, andere noch leer. Wohnungsauflösung – das wird nun ganz allein an ihr hängen bleiben. Stephen ist seit zwei Jahren fort, Jonas wird in den nächsten Tagen mit seinem Vater in die Staaten fliegen, dort die zwölfte Klasse besuchen. Wenn er zurückkommt, sehen wir weiter. Im Moment lässt sich nicht so weit im Voraus planen, Übergangslösungen sind gefragt, Lösungen für eine Familie mit dreifacher Haushaltsführung und begrenzten Ressourcen. Elsa stopft Tabak in das Maschinchen. Selbst gedrehte Zigaretten wie nach dem Krieg, auch so eine Sparmaßnahme. Die Zeit der heilen Familie, der Vierzimmerwohnung und der Filterzigaretten ist vorbei. Elsa klopft die Kippe auf der Tischplatte fest. Und Stephanie wird nicht wieder bei dir einziehen, vergiss es. Sie tritt ans Küchenfenster und

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