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Torstraße 1

Torstraße 1

Titel: Torstraße 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybil Volks
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hypnotisierten Gesichter. Da fällt ihr ein Mann auf, der dem Bildschirm den Rücken zuwendet. Sie will sehen, was er sieht, folgt seinem Blick nach oben. Doch da ist nichts, außer … dem Mond. Dem echten und in dieser Nacht dottergelben Mond.
    Elsa geht an der Menge vorbei und stellt sich auf eine Bank, macht ein Foto von dem Mann, der den Kopf in den Nacken gelegt hat, seinem mondbeschienenen Gesicht zwischen den Hinterköpfen der anderen – im Hintergrund das Schaufenster mit dem Bildschirm, über den die Mondlandung flimmert. Ein Astronaut im weißen Anzug in Großaufnahme, Kabel und Apparate vor der Brust wie nach außen gekehrte Eingeweide. Ein Helm mit riesigem Kunststofffenster, ein Insektenauge, das er auf die Zuschauer richtet. Inzwischen sind zwei Männer auf dem Mond, die US-Flagge wird gehisst. Elsa wendet den Blick vom Bildschirm und sucht nach dem Mann, der es vorzieht, den wirklichen Mond zu betrachten. Er ist fort.
    Auf dem Heimweg im bläulich dämmernden Morgen fühlt es sich an, als schwebte sie durch die Straßen, verloren und leicht. Aus einem weit geöffneten Fenster weht Musik, dasselbe Lied, das heute Tag und Nacht in den Radios lief: »Here am I sitting in a tin can far above the world. Planet earth is blue and there’s nothing I can do.«
    Jonas liest die neben der Klingel auf ein Stück Pappe gekritzelten Namen: Penny Lane, Ruby Tuesday, Bobby McGee … »Bobby« ist durchgestrichen, darüber hat jemand »Arschloch« geschrieben. Die Klingel funktioniert nicht, Musik schallt durchdie Tür, Jonas hämmert dagegen. Nach einer Weile nähern sich Schritte, ein Mann reißt die Tür auf. »Hi, bist du der Typ aus der Wrangel, der für ’n paar Tage bei uns pennen will?« Er mustert Jonas durch die runde Brille. »Na ja, an sich sind wir hier mehr so für Studis und kein Kinderladen …« Jonas ist sicher, dass dieser Typ Bobby sein muss.
    Stephanie taucht hinter ihm auf und schiebt ihn beiseite. »Bist du bescheuert, Mann, das ist mein Bruder.« Steph trägt trotz der Hitze ihre ewige blaue Postlerjacke und ein Piratentuch um den Kopf.
    Jonas windet sich aus ihrer Umarmung. »Will nur meine Platte abholen, ›Beggars Banquet‹, du weißt schon … und tschüss sagen natürlich.«
    Seine Schwester geht in die WG-Küche voran und setzt Teewasser auf. »Wir haben voll viel zu tun, du weißt ja, die Demo morgen und so.«
    »Welche Demo? Du, es ist zu heiß für Tee. Habt ihr Cola?«
    »Cola?!« Der angeekelte Ausruf kommt aus dem Mund eines Mädchens mit hennaroten Locken. Sie trägt eine Schlaghose und ein knapp unter dem Busen abgeschnittenes Batikshirt.
    »Penny oder Ruby?«, will Jonas von ihr wissen.
    Das Mädchen stutzt, dann lächelt sie. »Such’s dir aus.« Streng setzt sie hinzu »Cola gibt’s trotzdem nicht.«
    »Okay, Ruby.« Jonas schlägt die Hacken zusammen und nimmt Habachtstellung ein. Da taucht der Typ mit der runden Brille in der Küche auf.
    »Sagt mal, was geht denn hier ab? Da sitzen Typen in Moabit, weil sie aus der Scheißarmee wollen, weil sie keine Kinder mit Napalm bewerfen wollen, und diese Charaktermaske hier macht einen auf Scheißsoldat.«
    Ruby unterbricht ihn und öffnet den Kühlschrank. »War zufällig heute schon jemand einklauen?« Sie wirft die Tür wieder zu. »Ihr denkt wohl, das ist Frauensache, was? Wir dürfen dasFutter ranschleppen, euer dreckiges Geschirr waschen …« Sie fegt einen schmutzverkrusteten Teller von der Spüle, der auf den Küchenfliesen zerbricht.
    »Leute, wir haben jetzt Wichtigeres zu tun.« Steph steigt über die Scherben hinweg, und die anderen folgen ihr ins Berliner Zimmer. Zwischen mit Papieren übersäten Schreibtischen und Regalen voller Aktenordner sitzen junge Frauen und Männer auf dem Boden. Sie schneiden und falten Papiere, ein Geruch nach Klebstoff und Spiritus liegt in der Luft. Steph lässt sich auf ein freies Sitzkissen fallen und klopft auf das Kissen neben sich.
    Jonas bleibt stehen. »Du, ich wollte wirklich nur … Kannst du mir die Platte geben?«
    Steph schaut in die Runde. »Hat jemand von euch ›Beggars Banquet‹?« Niemand reagiert.
    »Du hast mir versprochen«, Jonas Stimme kippt in die helle Jungenstimme zurück, »hey, da ist ein Autogramm von Brian Jones drauf, weißt du, was die jetzt wert ist?«
    Plötzlich steht Bobby hinter ihm. »Mach dir mal nicht ins Hemd wegen ’ner blöden Platte, okay?!« Er drückt Jonas einen Stapel Flugblätter in die Hand. »Hilfst du morgen beim Verteilen?«
    Jonas

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