Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
Vom Netzwerk:
Lektüre war sie mittlerweile entwachsen, aber sie würde das Angebot im Auge behalten.
    Selbst wenn sie das nötige Geld gehabt hätte, war Inge heute nicht in Kauflaune. Die aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissenen Güter und die erschöpften Gestalten mit den grauen Gesichtern, die sie feilboten, machten sie traurig. Während sie zurück in Richtung Chusan Road schlenderte, überlegte sie, wie sehr sich ihre neue Umgebung von den eleganten Straßen und Geschäften des International Settlement unterschied. Trotzdem waren auch hierOst und West eine farbige Koexistenz miteinander eingegangen, nur eben am unteren Ende der sozialen Leiter.
    Um sich aufzuheitern, wollte Inge noch einmal bei Opa Hong vorbeischauen und ihm von ihren Entdeckungen berichten, als neben ihr eine tiefe, etwas heisere Stimme rief: »Bisch du des, Inge?«
    Sie fuhr herum. Am Türrahmen lehnte ein aufgeschossener junger Mann, die selbst gedrehte Zigarette lässig im Mundwinkel. Er trug das rotblonde Haar lang, und auf seiner Oberlippe spross rötlicher Bartflaum. Das abgetragene, groß karierte Herrensakko, dessen ausgepolsterte Schultern er keineswegs ausfüllte, gab ihm etwas Verwegenes. Wäre da nicht die unverkennbar schwäbische Färbung gewesen, hätte Inge ihn nie erkannt.
    »Max!« Seit sie ihren Reisegefährten von der »Conte Biancamano« beim Anlegen aus den Augen verloren hatte, war sie ihm nie mehr begegnet und hatte auch kaum einen Gedanken an ihn verwandt. Inzwischen war aus dem Jungen mit Käppi, kurzen Hosen und Bürstenschnitt ein richtiger Mann geworden.
    »Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?«, fragte sie.
    »Na hier. Wir haben von Anfang an in Hongkou gewohnt.«
    »Gehst du denn nicht in die Kadoori-Schule?« Dort hätten sie sich eigentlich begegnen müssen.
    »Ach weischt, mit dem Lernen hab i’s net so. Außerdem ist mein Vater gestorben, hat sich Flecktyphus eingefangen. Jetzt muss ich die Familie durchbringen.«
    »Oh, Max, das   …« Doch Inges Versuch einer Beileidsbekundung wurde abgewürgt.
    »Bin jetzt im Export-Import-Geschäft.« Er unterstrich diese Aussage mit einer weltmännischen Geste, die seine ausgedehnten Geschäftskontakte demonstrieren sollte.
    Da musste Inge nun doch grinsen: »Du meinst zwischen Hongkou und dem übrigen Schanghai?«
    »Schön wär’s«, räumte er ein. »Die Japsen haben mir neuerdings einen Riegel vorgeschoben.«
    »Und wo wohnt ihr?«
    Max ignorierte die Frage und erklärte stattdessen: »Nachmittags findest du mich meistens im ›Mascot Roof Garden‹. Wenn ihr was braucht, du und deine Leute, dann lass es mich wissen. Du hast noch was gut bei mir, von wegen dem Schiffszwieback, du weißt schon.« Dabei grinste er Inge vielsagend an.
    Opa Hong, der die Unterhaltung der beiden mit kritischem Blick verfolgt hatte, schien in Max keinen geeigneten Umgang für Inge zu sehen.
    »Missy, walkee home chop chop, wata cold.« Obwohl er wusste, dass Inge Chinesisch sprach, verfiel er immer wieder in das mit Ausländern übliche Pidgin.
    »Hab eh noch zu tun, bis bald«, verabschiedete sich Max.
    »Bis bald.« Inge sah ihm verwundert nach.

Neu aufgestellt
    Sommer, 1943   – Jahr der Ziege
    羊
    Das »Mascot Roof Garden« war, glaubte man den Werbeanzeigen, »die fuehrende Unterhaltungsstaette Hongkou’s« und lag an der Wayside Road über dem »Broadway Cinema«   – beides Etablissements, für die Frau Finkelstein niemals Geld rausrücken würde. Der Dachgarten mit seinen zahlreichen Tischen, bequemen Korbstühlen und Palmen in großen Töpfen war eines der wenigen Freiluftcafés im Ghetto; dort wehte selbst an heißen Tagen eine kühle Brise vom Fluss, abends wurde Tanzmusik gespielt. Wer es sich leisten konnte, trank dort seinen Kaffee, Tee oder das Apfel-Erfrischungsgetränk »Obi«, eine Spezialität des Hauses. Inge konnte sich das eigentlich nicht leisten, trotzdem musste sie unbedingt hin.
    Das unerwartete Wiedersehen mit Max beschäftigte sie sehr. Dieser schlaksige junge Mann hatte nichts mehr gemein mit jenem Spielgefährten, mit dem sie vor fünf Jahren vom Abendland ins Morgenland gefahren war. Aber mehr noch als seine Verwandlung beschäftigte sie sein großzügiges Angebot. Oder war das nur großmäulig gewesen? Jedenfalls war ihr sofort klar gewesen, dass sich hier vielleicht eine Möglichkeit auftat, an das dringend benötigte Fahrrad zukommen. Denn nur mit einem Fahrrad käme sie zu Sanmao. Seit dem Umzug nach Hongkou hatte sie keine Möglichkeit gehabt, mit

Weitere Kostenlose Bücher