Torte mit Staebchen
standen.
»Flaggenraten, weißt du noch?« Max schien ihre Gedanken zu lesen.
»Ganz schön lange her.«
»Fast fünf Jahre. Und du bist längst kein kleines Mädchen mehr, das mit Puppen spielt.«
»Hab ich schon damals nicht«, stellte Inge richtig.
Max, der sofort merkte, dass er den falschen Einstieg gewählt hatte, winkte weltläufig den Kellner herbei.
»Was nimmst du?«
»Ein Obi«, erwiderte Inge ebenso lässig.
»Kuchen dazu?«
»Haben die hier Bienenstich?«
»Aber natürlich, mein Fräulein«, mischte der Kellner sich ein, der unbemerkt an ihren Tisch getreten war.
»Einen Kaffee, zwei Bienenstich und ein Obi«, gab Max, ohne mit der Wimper zu zucken, an den Kellner weiter.
Inge, die nicht gleich mit der Tür – oder besser dem Rad – ins Haus fallen wollte, erkundigte sich erst einmal nach Max’s Vater. Die karge Auskunft, die Max ihr bei der ersten Begegnung gegeben hatte, war ihr nahegegangen, obwohl sie seine Eltern nie kennengelernt hatte. Wie konnten Mutter und Sohn es schaffen, so ganz allein in Schanghai?
»Mein Vater hat sich wegen der Ausgangssperre mit einem von diesen Japsen angelegt, und die haben ihnins Gefängnis gesteckt. Nach einer Woche haben sie ihn zwar wieder rausgelassen, aber von den Wanzen- oder Flohstichen hat er Typhus gekriegt und ist innerhalb von ein paar Tagen elend krepiert.«
Inge sah ihn entsetzt an. Das Horrorszenario, das sie ihrer Mutter kürzlich ausgemalt hatte, konnte also tatsächlich Wirklichkeit werden.
»Das muss ja erst kürzlich passiert sein. Wie kommt ihr denn jetzt zurecht, deine Mutter und du?«, fragte Inge betroffen.
»Sag ich doch, Export-Import. Aber lass gut sein, Inge, reden wir von was anderem«, entgegnete Max beinahe unwirsch.
Auch einer, der nicht reden will. Inge kannte diese Methode der Problembewältigung und akzeptierte sie.
Inzwischen hatte er die Fassung wiedererlangt und fragte lässig: »Was darf’s sonst noch sein? Du bist doch bestimmt nicht wegen dem Bienenstich gekommen.«
Inge wurde rot, doch im Grunde war sie froh, dass Max geradewegs zur Sache kam. Das ersparte ihr das Drumherumreden.
»Max, ich brauch ein Fahrrad.« Wozu sie es brauchte, das hatte einen Geschäftsmann nicht zu interessieren.
»Hmm«, machte Max und fuhr sich mit der Hand über die hageren Wangen, wobei er den stacheligen Widerstand seiner rötlichen Bartstoppeln sichtlich genoss. »Derzeit ein äußerst gefragter Artikel.«
»Und damit du’s gleich weißt: Geld hab ich auch keins«, schob Inge trotzig nach. Wenn er Klartextredete, konnte auch sie die Karten auf den Tisch legen. Dort stellte der Kellner gerade sein Tablett mit dem Bienenstich und den Getränken ab.
Max ließ sich Zeit, nippte an seinem Kaffee und sagte nach einigem Nachdenken: »Vielleicht kommen wir ja ins Geschäft, wir zwei beide.« Er knackte mit den Fingern, indem er sie einzeln langzog, ein Geräusch, das Inge ganz kribbelig machte. »Du kannst hier ohne Passierschein raus, stimmt’s?«
Inge nickte.
»Hast du schon was von Ghoya gehört? Das ist der Japse, der im Bridgehouse die Passierscheine ausstellt und sich König der Juden nennt«, erklärte er, ohne ihre Antwort abzuwarten. »Dementsprechend schikaniert er die Leute, lässt sie wegen dieser dämlichen Zettel tagelang anstehen. Und weil er selbst ein Zwerg ist, hat er’s auf einen langen Lulatsch wie mich besonders abgesehen.«
Inge verstand. Auch sie hatte schon gehört, dass der Kommandant der japanischen Armee groß gewachsene Antragsteller manchmal sogar grundlos ohrfeigte.
»Außerdem muss man für so ’nen Passierschein die Bestätigung eines Arbeitgebers außerhalb des Ghettos vorlegen, und den hab ich nicht. Ich könnte da natürlich was drehen, aber seit der Sache mit meinem Vater ertrage ich den Anblick dieser Typen einfach nicht mehr. Wenn ich mir vorstelle, dass er den Nazis entkommen ist, um dann hier …« Max schluckte. »Ich kann da nicht hingehen.«
Ein Schatten huschte über sein scharf geschnittenes Gesicht, der vorstehende Adamsapfel bebte.
»Und du meinst, ich könnte was für dich hin- und hertransportieren?«, sagte Inge rasch. Es war ein genialer Plan, und Inge hatte ihn sofort durchschaut. Auf keinen Fall durften Max jetzt die Augen feucht werden.
»Genau.« Max warf ihr einen dankbaren Blick zu. »Leberwurst zum Beispiel. Ich weiß hier im Ghetto einen Metzger aus Thüringen, der macht eins a Leberwurst, da sind einige von den Reichsdeutschen draußen ganz scharf
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