Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
Vom Netzwerk:
lautem Rufen mit seinem Lastenrad durch das Gässchen hinter der Häuserzeile. Dann musste jemand aufstehen und schnell den Familienkübel nach unten bringen, wo er in einen Behälter mit schwappender Kloake gekippt wurde. Anschließend musste man ihn mit Wasser und einem Reisigbesen notdürftig reinigen. Diese Aufgabe hatte, sehr zur Erleichterung seiner Frau, Vater Finkelstein übernommen.
    Angesichts dieser archaischen Düngemethoden bläute die Mutter Inge immer wieder ein, ja kein rohes Obst oder Gemüse zu essen, denn die Erträgedes Kloakenmanns wanderten geradewegs auf die Felder. Obst wurde vor dem Verzehr entweder geschält oder in einer gruselig lilablauen Permanganatlösung gewaschen, die Keime abtöten sollte.
    »Bei diesen Temperaturen geht’s ja noch, aber wie wird das im Hochsommer stinken«, seufzte Marianne Finkelstein.
    An diesem Morgen lernte Inge gleich noch eine andere feste Einrichtung ihres neuen Lebens kennen. Wie in der Bubbling Well Road waren sie auch hier auf primitive, tragbare Öfen angewiesen, die schwer anzuheizen waren und deren Glut mit Fächern am Leben gehalten werden musste. Diese Mühe machte man sich allenfalls für die Mahlzeiten, nicht aber zum Erhitzen von Wasser. Doch das   – so ein weiteres strenges Gebot des Ghettodaseins   – durfte nur abgekocht getrunken werden. Dafür gab es den Heißwasserladen, nur wenige Schritte vom Eingang der Lane entfernt. Dort schürte Opa Hong, ein vom ewigen Schwitzen ausgezehrtes kleines Männlein, von morgens bis abends eine gemauerte Feuerstelle, auf der in einem großen Kupferkessel Wasser brodelte. Zunächst kaufte man einen Vorrat an hölzernen Jetons, für die einem Opa Hong dann jeweils eine Füllung in die mitgebrachte Thermoskanne schöpfte. Inges Aufgabe war es, jeden Morgen mit den beiden großen Kannen loszuziehen, wobei ihr die Mutter mit schöner Regelmäßigkeit nachrief: »Und pass auf, dass das Wasser auch wirklich gekocht hat!«
    Inge freundete sich mit dem alten Mann bald an, der so etwas wie die Informationsbörse des Viertelswar, und von dem man die Neuigkeiten aus dem Kietz erfuhr. Nachdem er mit Inge das übliche Frage- und Antwortspiel absolviert und erfreut festgestellt hatte, dass sie im Gegensatz zu den meisten »weißen« Ghettobewohnern gut Chinesisch sprach, ließ er sie im Gegenzug wissen, an welchem Stand in der Markthalle in der Tangshan Road sie ihr Gemüse kaufen sollte, wer die frischesten und fettesten Hühner hatte und dass die Händler, die auf der Straße vor der Halle ihre Waren feilboten, nicht verlässlich seien und gelegentlich die Gewichte an ihren Stabwaagen manipulierten. Nach wenigen Besuchen war klar: Opa Hong würde Inge nie übers Ohr hauen, im Gegenteil, oft gab er ihr noch einen Schöpfer kochendes Wasser obendrauf, ohne ein Jeton dafür zu nehmen.
     
    Mit der Zeit entwickelten die Finkelsteins eine feste Arbeitsteilung, um den Alltag im Ghetto gemeinsam zu bewältigen. Der Vater entsorgte den ekligen Eimer, Inge holte noch vor der Schule heißes Wasser, und Frau Finkelstein versuchte, ein warmes Abendessen auf den Tisch zu bringen. Im Umgang mit dem tückischen Herd hatte sie mittlerweile ihre Tricks entwickelt. Beim Kochen stand, wegen der gefährlichen Gasentwicklung, die Luke zum Dach stets offen, und sie fing immer mit dem Reis an, den sie, kaum dass er halb gar war, mit Decken umwickelt ins Bett packte, damit er dort vollends weich werden konnte. In der Zwischenzeit bereitete sie zu, was es sonst noch geben sollte   – zum Beispiel Kartoffelgulasch mit Möhren,ein schmackhafter, gut gewürzter Ersatz für ein ordentliches Fleischgericht.
     
    Von Opa Hong stammte auch der Tipp mit dem Straßenflohmarkt, den die Emigranten eingerichtet hatten. Dort wurde alles verhökert, was mit ihnen um die halbe Welt gereist und jetzt entbehrlich geworden war oder wovon man sich aus Geldnot schweren Herzens trennen musste. Inge ging fasziniert zwischen den am Boden ausgebreiteten Waren hindurch: Da lagen Silberbestecke, die einst die Tafel eines großbürgerlichen Wiener Haushalts geziert hatten, damastene, mit Monogramm versehene Aussteuerwäsche, die für glücklichere Zeiten gestickt worden war, oder die Werkzeuge von Berufen, die hier nicht ausgeübt werden konnten, und es gab Bücher aller Gattungen und Sprachen. Von hier, durchfuhr es Inge plötzlich, hatte bestimmt auch der »Nesthäkchen«-Band gestammt, den ihr der Vater zum 12.   Geburtstag geschenkt hatte. Dieser Art von

Weitere Kostenlose Bücher