Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
Vom Netzwerk:
besetzten Schlüsselpositionen, wie Schanghai.«
    »Aber die wissen doch, wie viele Ausländer hier festsitzen: ihre eigenen Leute, verbündete Engländer und wir, die Juden, die sie nicht reingelassen haben.« Inge hatte inzwischen ein recht klares Bild der politischen Lage. Ihr konnte man nichts mehr vormachen.
    »Natürlich wissen die das. Deshalb werden sie sich von den Wohngebieten fernhalten. Die Vorkehrungen der Japaner bestätigen nur, dass sie auf dem Vormarsch sind.«
    »Dann können wir uns also auf die Amerikaner freuen?« Inge sah den Vater fragend an.
    »Hoffen wir’s mal«, erwiderte er; seine politische Naivität hatte Wilhelm Finkelstein spätestens seit Sachsenhausen endgültig verloren.
    ***
    In einer warmen Juninacht war es dann so weit. Inge wurde von anhaltendem Sirenengeheul aus dem Schlaf gerissen. Natürlich kampierte sie bei dieser Hitze auf dem Dach. Die Sirene war gleich auf dem Nachbardach und legte mit solcher Wucht los, dass es Inge fast vom Feldbett hob. Waren das zwei Signaltöne oder mehr? Waren sie lang oder kurz? Und wie viele davon hatte sie bereits verschlafen?
    Laifu war beim ersten Heulen unters Bett verschwunden. »Du machst es richtig, Katerchen.« Schlaftrunken tastete Inge nach ihm. »Soll ich dich mitnehmen, oder kommst du allein zurecht?« Vermutlich hatten Katzen diesbezüglich den besseren Instinkt; die veranstalteten ja auch nicht solche Schwachsinnskriege. Inge war jetzt ganz wach. Ein Blick in die Runde: Das Dächergebirge von Hongkou lag still und friedlich da, nur in der Ferne zirkelten die Suchscheinwerfer der Flakabwehrgeschütze über den dunklen Himmel. Sie griff nach ihrer Tasche, tappte zur Treppe und die Stiege hinunter. Die Eltern waren ebenfalls wach und auf dem Weg nach unten. Inge warf rasch einen Blick auf die Uhr: 2   Uhr 45.   Ob morgen beziehungsweise heute die Schule ausfiel oder wenigstens später anfing?
    Kaum waren sie unten, als das Signal für den Luftalarm ertönte. Ferne Motorengeräusche. Was tun? Abwarten.
    Die Wangs waren bereits im Hinterhof, sie hatten den kürzesten Weg. Der Sohn und die drei kleinen Mädchen saßen wie die Orgelpfeifen auf der Einfassungsmauer, die Eltern liefen wie aufgescheuchte Hühner im Hof herum. A-Feng , der Älteste, rückte doch tatsächlich ein wenig zur Seite, um Inge Platz zu machen. Seit ihrer ersten Begegnung im vergangenen Jahr hatten die beiden längst Frieden geschlossen.
    »
Měiguórén lái!
«   –
die Amerikaner kommen
–, informierte A-Feng sie mit freudiger Erwartung in der Stimme. Jetzt hatte man nicht nur einen gemeinsamen Feind, sondern auch noch einen gemeinsamenVerbündeten. Eines der Mädchen kuschelte sich schlaftrunken an Inge, den anderen wurde bald lang weilig .
    »
Yīqĭ wán ba!«   – Spiel mit uns
, bettelten sie. Und Inge ließ sich nur zu gern erweichen.
    »
Ich weiß ein Spiel, das kennt ihr bestimmt, eine chinesische Freundin hat es mir beigebracht: Jiǎndāo, shítou, bù   – Schere, Stein, Papier.
«
    »
Wǒmen zhīdào, wǒmen
zhīdào
«, jubelten die Klei nen. Natürlich kannten sie das. Auf einmal waren alle hellwach.
    Jeweils zu zweien zählten sie laut vor sich hin, wobei jeder seine geschlossene Faust vorstreckte. Bei drei musste man sich entscheiden, was die Hand anzeigen sollte: die Faust war der Stein, zwei Finger die Schere und die offene Handfläche das Papier. Damit stand auch schon fest, wer gewonnen hatte, denn die Schere schneidet das Papier, das Papier umwickelt den Stein, und der Stein macht die Schere stumpf. So ging das, immer der Reihe nach, und der jeweilige Sieger durfte weiterspielen. Als Inge übrig blieb, konnte A-Feng der Versuchung nicht widerstehen.
    »


èr

sān
!« Inge zeigte den Stein, A-Feng das Papier.
    Mit einem Siegerlächeln strahlte er sie an.
    Als von der Sirene auf dem Nachbarhaus zweimal der lange Entwarnungston herüberschallte, lag Meimei, das jüngste der Wang-Mädchen, quer über Inges Schoß und wachte auch nicht auf, als das Heulen endlich röchelnd erstarb. Mit einem dankbaren Kopfnicken hob Frau Wang sie auf und trug sie ins Haus.Inge verzog sich wieder aufs Dach. Im Osten, Richtung Meer, zog schon ein heller Streifen am Horizont auf. Jetzt erst mal ausschlafen.
    Bald darauf gesellte sich Laifu dazu.
     
    So ging der Sommer dahin, Fliegeralarm fast jede zweite Nacht. Auch am europäischen Kriegsschauplatz waren die Amerikaner im Vormarsch. Über den illegalen Kurzwellenempfänger   – und weiter

Weitere Kostenlose Bücher