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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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werde ich an der St. John’s University studieren. Bis dahin helfe ich meinem Vater ein bisschen aus. Wegen der Inflation ist es schwierig geworden, so viele Angestellte zu bezahlen.«
    Bald darauf musste Sanmao auch schon aufbrechen. Ausgangssperre. Als er gegangen war, hätte Inge vor Wut in den Tisch beißen mögen: Laifu weg, Sanmao weg, und der Krieg jetzt unmittelbar vor der Haustür.
     
    Dennoch musste sie dankbar sein, denn die traurige Statistik des Bombenabwurfs vom 17.   Juli verzeichnete vierunddreißig Tote unter den Flüchtlingen, die Zahl der chinesischen Opfer wurde auf über 200 geschätzt. Von da an nahm niemand mehr den Fliegeralarmauf die leichte Schulter. In Hongkou ging die Angst um. Am 7.   August berichtete eine unscheinbare kurze Meldung in der »Shanghai Times«, dass die Amerikaner über der Stadt Hiroshima, in Japan, eine »neuartige Bombe« abgeworfen hatten. Was war das nun schon wieder?

Der Krieg ist aus
    Schanghai, 1945   – Jahr des Hahns
    雞
    »Der Krieg ist aus!«
    »Das hast du uns schon öfter erzählt.« Inge sah kaum von ihrem Buch auf, als der Vater drei Tage nach der rätselhaften Bombenmeldung mit dieser Neuigkeit nach Hause kam. Laifu war und blieb verschwunden, und das nahm sie den Amerikanern persönlich übel. Also bitte keine neuen Siegesbotschaften von den sogenannten Befreiern.
    »Nein, wirklich. Es heißt, Japan hätte die Bedingungen der Potsdamer Erklärung anerkannt. Das bedeutet bedingungslose Kapitulation.«
    Nun hob Inge doch den Kopf. In der Lane war lautes Rufen zu hören. »Du meinst, die Japaner geben auf?«
    »Sieht ganz so aus.«
    »Dann sind wir hier nicht länger eingesperrt?«, mischte Frau Finkelstein sich ein.
    Draußen ging das Rufen in Jubel über. Plötzlich tat ihre Mutter etwas, das Inge nie für möglich gehalten hätte. Mit einem Satz war Frau Finkelstein am Fenster und riss die Verdunklungsgardinen, die sie mühsam selbst genäht hatte, herunter, dass der Stoff in Fetzen ging. »Wie ich diese schwarzen Dinger gehasst habe!«
    Und tatsächlich hatte es etwas Befreiendes, endlich wieder durch das Erkerfenster in die nächtliche Lane hinunterschauen zu können, wo sich die Nachbarn in den Armen lagen.
    Jetzt hielt es auch Inge nicht mehr auf ihrem Stuhl. Das durfte sie nicht verpassen. »Ich seh mal nach, was draußen los ist.« Schon war sie auf dem Treppenabsatz. Die Eltern standen, sich an den Händen haltend, mitten im Zimmer.
    »Nicht das Fahrrad, Inge«, rief ihr der Vater noch hinterher. »Bleib hier in der Gegend!«
    Auch die Wangs waren noch wach. Inge steckte den Kopf zur Tür hinein und verkündete auf Chinesisch: »
Habt ihr gehört, der Krieg ist aus!«
    Drei Generationen Wang starrten sie an, als sei ihnen ein Geist erschienen. Der älteste Sohn reagierte als Erster: »
Rìběn guĭzi dǎbàile
!   –
Die japanischen Teufel
sind besiegt
!«, brüllte er.
    Doch Inge war längst weiter. Draußen auf der Straße ging es zu wie am hellen Nachmittag. Verdunklung und Ausgangssperre waren vergessen, jetzt gab es kein Halten mehr. Sie ließ sich in der begeisterten Menge durch die Straßen treiben. Chinesen und Emigranten waren sich durch die Hilfsaktionen nach dem Bombenangriff endlich nähergekommen. Nun feierten sie, zerlumpt und ausgemergelt wie sie waren, als einvernehmliche Nachbarn ihre Befreiung; die einen von der dreizehn Jahre dauernden Besatzung, die anderen von den Beschränkungen des Ghettos.
    Inge blieb stehen, um dem Treiben vom Straßenrandaus zuzusehen. Japanische Militärs ließen sich nicht blicken, nur die Männer vom Ordnungsdienst mit ihren Armbinden waren präsent, griffen aber nicht ein. Plötzlich entdeckte Inge einen Rotschopf in der Menge.
    »Max!« Ihr Freund sah ein wenig mitgenommen aus. Das Hemd hing ihm aus der Hose, und er hatte eine Schramme an der Stirn. »He, Max!«
    Erst beim zweiten Rufen wandte er den Kopf und kam strahlend auf sie zu. »Inge! Hast du’s schon gehört?«
    »Na klar. Wie siehst du denn aus?«
    »Wir haben uns den Ghoya geschnappt«, stieß er hervor und senkte ganz automatisch die Stimme. »Mit ein paar anderen haben wir ihn aus seiner Wache geholt und auf ein Brachgrundstück geschleppt. Dort haben wir ihn tüchtig vermöbelt. Ich weiß, das ist feige, aber er hatte es verdient. Da war noch eine Rechnung offen, du weißt schon. Auch die anderen hatten ihre Gründe.«
    »Und?«
    »Gewinselt hat er und um sein Leben gebettelt, der König der Juden. Am Ende haben wir ihn laufen

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