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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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Das wohlige Gefühl, noch einmal davongekommen zu sein, wich erneuter Panik. »Laifu!«
    Sie stolperte die Stiege wieder hinunter.
    »Laifu ist weg!«
    »Der hat sich bestimmt furchtbar erschreckt und irgendwo verkrochen. Der kommt schon wieder.«
    »Ich muss ihn suchen, Mama.«
    »Hast du nicht gehört, was dein Vater gesagt hat?«
    »Ja, aber das ist ein Notfall.« Inge war bereits an der Tür.
    Frau Finkelstein seufzte nur. Ihr war klar, dass sie die Tochter nicht halten konnte; Inge entglitt ihr immer mehr in dieses wilde, gefährliche Schanghaier Leben. »Trink wenigstens deinen Tee aus«, rief sie ihr hinterher.
     
    Atemlos rannte Inge durch die Straßen von Hongkou und rief nach ihrem Kater. Was sie dabei sah, war wie ein Film, in den sie besser nicht gegangen wäre: Blutüberströmte Menschen wurden auf improvisierten Tragen in das Spital im Ward Road Gefängnis gebracht, direkt am Eingang ihrer Lane vorbei.
    »Laifu!«
    In unmittelbarer Nähe der Einschläge hatten sich die baufälligen Backsteinhäuser in Schutthalden verwandelt, verzweifelte Angehörige und Helfer gruben mit bloßen Händen nach Verschütteten.
    »Laifu!«
    Herdfeuer waren außer Kontrolle geraten, und Nachbarn, egal ob gelb oder weiß, bildeten Ketten, um die Brände zu löschen.
    »Laifu!«
    Am schlimmsten war der Anblick der Bombenkrater in der Tangshan Road. Wo früher ein Haus oder eine Straße gewesen war, klaffte jetzt ein tiefes Loch. Tote Menschen lagen herum, manchen fehlten Arme oder Beine. Niemand kümmerte sich um sie, denn die erste Hilfe musste den Lebenden gelten.
    »Laifu!«
    Heiser vom Schreien, vom Qualm der Brände und vom Staub der Trümmer, taumelte Inge wie betäubt durch die Straßen und Lanes ihres Viertels, das Gesicht nass von Schweiß und Tränen, die Knie weich vor Schwäche und Schock. Sie wusste genau, dass das, was sie da tat, sinnlos war. Laifu würde wiederkommen   – oder er würde nicht wiederkommen. Darauf hatte sie keinen Einfluss. So waren Katzen, sie kamen und gingen wie das Glück, auch das ließ sich nicht zwingen. Dennoch konnte sie nicht aufhören, konnte nicht stehen bleiben, musste immer weiter nach ihm rufen.
    »Laifu!«
    Eine unbändige Wut auf diese bombenwerfenden Amerikaner, die überall als Befreier gepriesen wurden, trieb sie an. Schließlich zog die Hoffnung, dass der Kater vielleicht längst zu Hause auf sie wartete, sie doch nach Hause.
    Auf der Treppe hörte sie die Mutter rufen: »Sieh mal, Inge, wer da ist!«
    »Laifu?«
    »Nein, Sanmao! Und schau nur, was er mitgebracht hat.« Die Mutter hielt ihr eine große Tüte hin.
    Doch Inge hatte nur Augen für Sanmao. Den Blick fest in seinen verhakt, machte sie ein paar Schritte auf ihn zu. Warum musste man immer erst etwas verlieren, um etwas anderes zu bekommen?, dachte sie noch, dann wurde ihr schwarz vor den Augen.
    Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf dem Feldbett; zwei besorgte Gesichter blickten auf sie herab.
    »Kind, wie geht’s dir? Da, trink das. Das kommt davon. Hättest du doch auf mich gehört und deinen Tee ausgetrunken. Und das alles wegen dieser Katze.« Frau Finkelstein hörte vor lauter Erleichterung gar nicht mehr auf zu plappern. Inge beachtete sie nicht, verwirrt und fragend sah sie Sanmao an.
    »Ich hab mir solche Sorgen um euch gemacht. Wir haben mitgekriegt, dass die Bomben diesmal direkt über Hongkou niedergegangen sind, dann haben wir die Rauchsäulen gesehen. Da hab ich mich auf den Weg gemacht. In dem Chaos gab’s auch keine Wachtposten mehr.«
    »Zu Fuß?«
    »Zum Teil, bis zur Garden Bridge ist die Tram noch gefahren.«
    »Und schau mal, was er mitgebracht hat.« Wieder fuchtelte ihr die Mutter mit der Tüte vor dem Gesicht herum. »Du musst unbedingt was in den Magen kriegen, Inge. Dein Blutzucker ist bestimmt völlig amBoden. Du hast ja seit heute Morgen nichts mehr gegessen, und dann der Schock.«
    Damit endlich Ruhe war, langte Inge in die Tüte und fischte ein Stück Sandkuchen heraus. Seit Wochen, ja Monaten, hatte sie Sanmao nicht gesehen, und jetzt konnte man nicht mal richtig reden, weil man mit einer hysterischen Mutter in diesem einzigen Zimmer eingesperrt war. Inge wäre vor lauter Verzweiflung am liebsten gleich in die nächste Ohnmacht versunken.
    Stattdessen unterhielten sie sich unter den wachsamen Augen von Frau Finkelstein, unter anderem über Sanmaos Uni-Prüfungen, die er inzwischen erfolgreich abgelegt hatte.
    »Ich hab einen Platz in Ingenieurwissenschaften bekommen. Ab Oktober

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