Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
zwängen, eine Form, die aus gefrorener Wärme bestand und in die er, wie man sich vorstellen kann, nicht hineinpaßte. Weshalb er sie bloß mit einem Bruchteil seines Körpers ausfüllte. Woran sein Kopf zur Gänze beteiligt war, so daß er meinte, sein Schädel würde von der Nasenmitte abwärts in einer – dem Hals des Mädchens entsprechenden – Röhre stecken und erst wieder mit dem Kinn genügend Platz erhalten.
    Wie gesagt, es ging ihm nicht darum, die Situation der Sterbenden nachzuempfinden, sondern irgendeinen Hinweis zu entdecken, wobei er hoffte, dieser Hinweis würde ihm wie ein Tropfen auf die heiße Stirne klatschen. Eine Hoffnung, die sich beinahe erfüllte, da er nun ein Geräusch vernahm, welches tatsächlich dem Zerbersten einer kleinen flüssigen Kugel entsprach. Nur daß der Tropfen nicht auf seiner Stirn, sondern in nächster Nähe auf dem Boden aufklatschte. Cerny war sich unsicher, ob da nicht bloß der Wunsch wie ein Schalk in seinem Gehörgang saß und Töne imitierte. Er lauschte gespannt. Nach einer kleinen Ewigkeit, die in fünfzehn Sekunden vorbei war, wiederholte sich der Vorfall, nach seiner Schätzung an derselben Stelle. Er wartete. In gleichmäßigen Abständen erfolgten ein dritter, vierter und fünfter Aufprall. Cerny schob eine Hand knapp über den Boden nach vorn, den Handrücken nach oben weisend, an den Punkt, wo er die Bahn der fallenden Körper vermutete. Nachdem ein sechster Tropfen ihn verfehlt hatte, richtete er den Arm nach links aus. Der siebente schlug auf seinen wie beim Tequilatrinken gespannten Handrücken auf. Und genau in jenem Grübchen, in dem der Tequilatrinker Salz und Zitronensaft plaziert, befand sich nun die Flüssigkeit.
    Schweiß trat auf seine Stirn, wie nach dem Durchschneiden des richtigen Drahtes. Gerne hätte er jetzt über seine Temperatur Bescheid gewußt, die ganz unmöglich im normalen Bereich liegen konnte. Immerhin verfügte sein Gerät auch über eine elektronische Stimme. Aber es gab nun mal diese Momente, da er sich auf das Thermometer in seinem Kopf verlassen mußte.
    Er zog die Hand ein, hielt sie sich unter die Nase. Stellte bloß fest, daß es nicht giftig roch. Mit der Zungenspitze tauchte er in die Flüssigkeit. Sie schmeckte wie gesüßter Tee, bloß war die Konsistenz ein wenig dickflüssig, ölig, klebrig. Cerny, der entgegen seiner wenig pittoresken Erscheinung gerne in Farben dachte, fand, sie schmecke rötlich. Wenn Tee, dann Rooibos.
    In diesem Moment fuhr ein breiter, schwacher Schein in den Raum. Und in ihm eingefaßt ein weiterer Lichtkegel, dieser aber schlank, schlauchförmig, blendend. Die Tür war aufgerissen worden. Ein Mann hielt eine Taschenlampe auf Cerny gerichtet.
    »Rauskommen«, tönte es mit amtlicher Strenge.
    Cerny richtete sich umständlich auf, indem er sich aus der Form drückte und mit Teilen seines außerhalb verbliebenen Körpers zusammenschmolz. Natürlich hätte er auch einfach aufstehen können.
    »Wird’s bald«, brüllte der andere, der Cernys Trödelei für eine Finte hielt, sicherheitshalber eine Waffe aus seinem Schulterholster zog und wie zu einem Warnschuß gegen die Decke richtete.
    Als nun Cerny endlich stand, wollte der andere wissen, was er hier verloren habe, die Sache sei gelaufen, Journalisten unerwünscht, Verrückte ebenso. Cerny erkannte jetzt den anderen, ein gewisser Bachoeven, Bezirksinspektor, einer vom Mord , also einer von jenen, die gewöhnlich schlecht informiert waren, die mit ein paar Leichenteilen, ein paar Fingerabdrücken, mit Küchenmessern und ungenauen Laborberichten abgespeist wurden, ungenügend bezahlte, demotivierte Leute, die sich Verwarnungen einhandelten, wenn sie einmal außerhalb der Niederungen ermittelten.
    »Laß mal, Bachoeven. Mein Name ist Cerny, Sondereinheit Korrektorat.«
    Er hätte genausogut »Mondfinsternis« oder »Drogerie« sagen können. Er arbeitete für Steinbeck, und die von Steinbeck angeführte Einheit besaß keinen Namen, aber sonder war sie wohl.
    Bachoeven seufzte, steckte seine Waffe zurück, verlangte keinen Ausweis. Er wußte ja, die von den Sondereinheiten legitimierten sich nicht. Nicht gegenüber Kollegen. Das kannte er schon, ein wahres Übel. Man konnte kaum noch vernünftig arbeiten, überall tauchten sie auf, überheblich, verlogen, nannten nie ihre Dienstränge, im besten Fall noch den obskuren Namen ihrer Einheit, rissen die Untersuchungen an sich, konfiszierten Beweismaterial, trampelten grobschlächtig durch die Szenerie

Weitere Kostenlose Bücher