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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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bestand darauf, daß sie niemanden sehen könne, und als Cerny seine Polizeimarke wie ein Firmenlogo in die Kamera hielt, bestand sie darauf, daß Dr. von Wiese noch nicht eingetroffen sei.
    »Ich werde warten. Drinnen.«
    Nach einigem wortlosen Zögern sprang die Tür auf, und Cerny trat in das Stiegenhaus, das aus nicht viel mehr als aus Glas bestand. Er stieg in den ersten Stock und gelangte durch eine nicht minder gläserne Tür in den Empfangsraum, wo ein zwischen zwei Säulen geklemmter roter Tisch den einzigen farbigen Kontrapunkt zum Weiß der Wände, der Bürogeräte, der Marmorplastik, der Jalousien, zum Weiß des Frauengesichtes und einer Perlenkette darstellte. Gut, sie hatte blondes Haar und ein vanillefarbenes Kostüm, aber Kontrapunkte waren das nicht. Sie sah Cerny entgeistert an, als hätte er sich zu ihr unter die Dusche gestellt. Weshalb er nochmals seine Marke präsentierte, eins von den alten Dingern, die zwar an Kinderfasching erinnerten, aber immer noch mehr hergaben als die neuen Plastikkarten. Eine Plastikkarte besaß jeder.
    Er werde drinnen warten, wiederholte er. Dem grazilen, hellhäutigen Wesen hinter dem Schreibtisch mochten die schlimmsten Psychosen vertraut sein, wenn sie sich nur in den Psychen gutgekleideter Menschen verbargen. Doch Cernys Aufzug machte sie stumm und ängstlich. Was soll’s, er fand auch alleine den Weg durch jene der beiden Türen, auf der kein Privat den Zutritt einschränkte.
    Selbst im Warteraum dominierte das Weiß. Allerdings konnte man sich hier wie in einem gut bestückten Wohnzimmer fühlen. Rote Tische gab es keine, weshalb sich Cerny nun der eigenen kontrapunktischen Wirkung bewußt wurde, da auch die Dame, die in der Ecke eines länglichen Sofas lehnte, in heller, hautenger, wenngleich alpiner Kleidung steckte. Cerny fand, sie sehe aus, als warte sie auf die nächste Gondel. Und grüßte gar nicht erst, da er sich ja ausrechnen konnte, wie gering sie seinen Gruß schätzte.
    Weit gefehlt! Die Dame lächelte Cerny aus ihrem braungebrannten, im Gegensatz zum Körper etwas rundlichen Gesicht an, als hätte er Hauptrollen zu vergeben. Und daß sie dies tat, auf diese verführerische Art zu lächeln, war mit ein Grund dafür, warum sie hier saß, tatsächlich auf dem Weg von einem Skiurlaub in den nächsten, und auf ihren Analytiker wartete: Sie litt unter einem gesteigerten Geschlechtstrieb. Das mag zwar den meisten, vor allem männlichen Menschen – die in bezug auf ihre Attraktionen sich etwas anderes als weibliche Tollheit auch gar nicht vorstellen wollen – nicht als psychisches Leiden erscheinen, aber Frau Resele hatte durchaus ihre Probleme. Einerseits, da die Eroberung und der rasche Verschleiß an Partnern, die sie im Vorfeld kaum einer kritischen Betrachtung unterzog, nur selten zu einer echten Befriedigung ihrer sexuellen Wünsche führten – was sie nicht weniger deprimierte als monogame Geschlechtsgenossinnen –, und sie andererseits aufgrund ihres Geburtsdatums, 1945, langsam in ein Alter kam, in dem, ob das nun gerecht war oder nicht, das Werben um Männer jüngeren Datums zur Lächerlichkeit und zur Ausnutzung führen konnte. Und keines von beiden wollte sie sich antun. Weshalb sie vor einiger Zeit beschlossen hatte, dem tieferen Sinn ihrer Unmäßigkeit mit professioneller Hilfe auf die Schliche zu kommen. Um, endlich geheilt, ihren in die Schweiz geflüchteten Ehemann, der dort, wo auch sonst, ein Gelehrtendasein bar jeglicher Exaltationen führte, von seiner Sauferei einmal abgesehen, zurückzuholen und ein Leben zu führen, das nicht jeden Morgen mit einem angstvollen Blick in den Spiegel begann. Davon war sie allerdings weit entfernt, als nun Cerny eingetreten war, kein schöner Mann zwar, aber wäre ihr Interesse auf schöne Männer beschränkt geblieben, ihr Liebesleben hätte sich einfacher gestaltet. Gerade das Ungepflegte seiner Erscheinung ließ sie nicht kalt. Wie auch seine gedrungene, kastenartige Statur. Wenn er stank, dann stank er eben. Wenigstens sah er nicht aus, als würde er eine Körperlotion verwenden, die nach verbranntem Holz roch. Wie jener akademische Naturbursche, mit dem sie die letzten Tage in einer Skihütte verbracht hatte, wo wegen des Kamins der Geruch von verbranntem Holz ohnehin übermächtig gewesen war.
    Cerny mißverstand ihr Lächeln als Ausdruck des Entsetzens, um das er sich nicht weiter kümmern wollte. Er sah sich um, ohne irgendwelche Auffälligkeiten zu registrieren, und trat dann in Wieses

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