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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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geregelten Arbeitsform und mit wahrlich bösem Vorsatz begingen, war in der Unterwelt wie in der Oberwelt gleich groß. Andererseits war nach Cernys Verständnis etwa ein Dieb nicht als Verbrecher zu bezeichnen, solange er nicht in den angestammten Revieren seiner Kollegen wilderte und er vor allem darauf achtete, den Diebstahl an diebstahlsträchtigen Personen und Einrichtungen vorzunehmen. Wobei ein solcher Krimineller – nicht anders als auch die Polizei –, die Verhältnismäßigkeit der Mittel im Auge zu behalten hatte, also zum Beispiel im Zuge eines Salatdiebstahls nicht gleich den Salatverkäufer erschoß. Vermied also ein Dieb ein gemeinschädliches Verhalten, so war er wohl kaum als Verbrecher im Sinn einer verfolgungswürdigen Person anzusehen, seine Tat zwar strafbar, aber nicht asozial. Daß solche Leute jeder Vernunft zum Trotz verhaftet und verurteilt wurden, war eine der vielen Ungerechtigkeiten in einer Gesellschaft, die, das 21. Jahrhundert vor der Tür, einem hinterwäldlerischen Bild von Rechtswidrigkeit und Verbrechensauffassung verhaftet war. Nicht so Cerny. Harmlose Arbeiter und Angestellte unterweltlicher Betriebe ließ er in Ruhe, auch wenn seine Anordnungen manchmal anders lauteten. Zumeist aber wurde er ohnehin mit Fällen betraut, die ein eindeutig strafwürdiges Verbrechen beinhalteten.
    Cerny hatte sich umgehört und gegen gutes Geld die Information erhalten, daß die Kanterbrüder, die unter dem Firmennamen Die drei Katecheten in der Sparte der Auftragskriminalität eine wenngleich etwas komische, so doch schlagkräftige Rolle spielten, an einem Zivilisten namens Vavra gescheitert waren. Auch wenn die Brüder von einer Übermacht sprachen, der sie in der Wohnung Vavras begegnet sein wollten – einer Übermacht, die sie wohlweislich nicht näher benannten –, so hatte ihr guter Ruf unter dem Fehlschlag gelitten, um so mehr, als ihr Auftraggeber, ein gewisser Professor Herbart Hufeland, Ausreden nicht gelten ließ, schlechte sowenig wie gute, und die drei Herren zu einer sogenannten Reparationszahlung verdonnert hatte, die sie zahlen mußten, wollten sie nicht vollends vom Markt verschwinden.
    Hufeland gehörte zu jenen Leuten, die Cerny unter die wahrhaftigen Verbrecher einstufte. Ein Mann, der gleichermaßen in Ober- und Unterwelt seine Interessen vertrat. Mit distinguierter Geste und unsauberen Methoden. Ein Künstler, ein Schauspieler, ein Lügenmeister. Sein Einfluß, seine hervorragenden Kontakte und seine mythenumrankten und gut verwahrten persönlichen Erinnerungen erlaubten es ihm, gewisse Spielregeln zu mißachten. Allerdings nahm er sich stets im richtigen Moment zurück, weshalb es ihm gelungen war, den Niedergang des altsozialistischen Sonnenimperiums zu überstehen und auch in der lang nicht so saloppen neuen Epoche unpersönlicher Geschäftsabwicklungen zu reüssieren.
    Außer in juristischen, universitären und psychiatrischen Kreisen und gewissen elitären Zirkeln blieb Hufeland ein Unbekannter. Er mied jegliches gesellschaftliche Ereignis, welches die Klatschpresse auf den Plan rief, lehnte Einladungen zu Fernsehdiskussionen ab, ließ sich von niemandem, auch keinem Regierungsmitglied oder Theaterdirektor, auf die Schulter klopfen, hielt sich von Wohltätigkeiten fern, heiratete stets im stillen, ließ sich ebenso im stillen wieder scheiden und verbarg alles Biographische hinter der maßgeschneiderten Ordnung seines Auftretens. Nur einmal war Hufeland in den Blickpunkt einer größeren Öffentlichkeit geraten, anläßlich der Herausgabe eines Mammutwerkes über das Phänomen des Abschiedsbriefes. Hufeland, in seiner Funktion als Psychologe und Handschriftensammler, hatte eine beträchtliche Anthologie letzter Worte unbekannter wie prominenter Selbstmörder zusammengestellt und eine Analyse der Schriften vorgenommen. Das Sensationell-Skandalöse ergab sich nun weniger aus den teils gewagten linguistischen Interpretationen als durch den Abdruck von Abschiedsbriefen berühmter Personen, mit denen man bislang alles andere als einen Suizid in Verbindung gebracht hatte, darunter überaus bedeutende tote deutsche Größen, was deren Familien, Nachlaßverwalter und Gedenkinstitute auf den Plan rief. Doch die originalen Schriftstücke hielten stand, ohne daß herauskam, wie Hufeland an selbige geraten war. Die Aufregung war beträchtlich, und das Schweigen des Professors über seine Quellen führte in der deutschen Presse – die sich wieder einmal nicht anders zu helfen

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