Tortengraeber
Tür.
Else Resele, dreiunddreißigjährig, soeben zum ersten Mal verwitwet, wofür sie allen Göttern dankte, hatte sich an diesem Abend irgendeinen Bankkaufmann mit nach Hause genommen. Anfangs hatte er Skrupel gezeigt, eine Frau zu begleiten, deren Mann noch keine drei Tage unter der Erde lag. Er meinte, das wäre nekrophil. – Im Grunde verachtete sie Philister und Leute, die Wörter verwendeten, die sie gar nicht verstanden, aber dieser Bankmensch sah ein wenig aus wie Warren Beatty, und das war besser als gar nichts.
Ihr Haus bildete mit jenem Paulas und dem der Pollaks ein gleichseitiges Dreieck. Von ihrem Schlafzimmerfenster hatte sie einen idealen Ausblick. Damals bestand ihr sexuelles Interesse nicht bloß in einem mehr oder weniger konventionellen Umgang mit Männern, sondern auch in ihrem Hang zum Voyeurismus, wobei der eigentliche Reiz in der Kombination beider Leidenschaften bestand. Weniger, indem sie sich und ihren Partner, wie es zu dieser Zeit übelste Mode war, in einem am Plafond angebrachten Spiegel betrachtete, das zwar auch, aber als weit aufregender empfand sie es, während sie selbst es trieb, den Beischlaf anderer zu beobachten. Gerne wäre sie dabei in klassischabenteuerlicher Weise auf Dächern herumgeklettert, doch entgegen dem männlichen Faible für ungewöhnliche Praktiken besaß kaum einer von ihnen den Mut, in schwindelerregenden Höhen einen Geschlechtsakt zu vollziehen und eine Anzeige zu riskieren, zudem interpretierten die meisten ein solches Anliegen als Vorwurf, ihre eigenen Bemühungen genügten nicht.
Weshalb Else zur Not aus den Fenstern der Schlafzimmer sah, auch schon mal mit einem präparierten Feldstecher, den sie am Kopf befestigt hatte, und Ausschau nach verwandten Tätigkeiten hielt. Ihr glückloser Ehemann hatte dies mit Abscheu quittiert und sich in den Motorsport geflüchtet, wo sein Glück auch nicht größer gewesen war.
Befand sich Else in ihrem eigenen Haus, konnte sie auf den Feldstecher verzichten, denn die beiden Gebäude waren nahe gelegen, der Winkel ideal, keine Bäume im Weg, die Sträucher niedrig und die Unart, sich mittels Vorhängen von der Welt abzuschotten, zumindest bei den Pollaks verpönt. Und auf die kam es an. Susanne Pollak hatte bei einem Damenkränzchen angedeutet, daß ihr die Vorstellung gefalle, beobachtet zu werden. Die anderen Frauen hatten sich schockiert gezeigt, und zwar über eine solche Offenheit bei Kaffee und Kuchen. Else aber hatte ihrer Nachbarin zugezwinkert. Eine Kooperation war begründet gewesen. Ansonsten war ihr die Pollak gleichgültig. Paula hingegen konnte sie gut leiden, vermied es jedoch, ihr gegenüber derartige Passionen zu erwähnen. Sie wußte ja, daß Paula über die Sexualität wie über eine Krankheit dachte, die man ausheilen mußte. Und wo immer dieser Robert charmierte, zu Hause sicher nicht.
Als sie an diesem Abend am offenen Fenster stand und ihre Eroberung von hinten in sie eindrang – einerseits davon angetan, den Akt im Stehen zu vollziehen, andererseits ein wenig in Sorge, Else könnte irgend jemandes Nachtruhe stören –, stellte sie zu ihrer Freude fest, daß die Pollaks bei ebenfalls offenem Fenster im Schlafzimmer standen und sich zankten, was wie in den meisten guten Ehen eine Art von Vorspiel darstellte. Und nachdem Herr Pollak mit einer Geste angedeutet hatte, daß er seine Frau am liebsten erwürgen wollte, fiel ihm diese in die Arme, als würde sie sich genau danach sehnen.
Else Resele war dankbar für die nun beginnende Vorstellung, da die Vorstellung, die hinter ihr ablief, gar zu belanglos vonstatten ging. Ihr schien, der Mann finde nicht so richtig aus der Eintönigkeit seines Berufs heraus, so als treibe er es hinter seinem Schalter und müsse gleichzeitig jemand beraten. Wenn er zu ihr sprach, dann wußte sie nicht, ob er sie oder den imaginären Kunden meinte. Als Voyeurin kam sie allerdings auf ihre Kosten, da die Pollaks zum Theatralischen neigten, zwei hyperaktive, hypertonische Persönlichkeiten, die durch raschen Positionswechsel sich im Zustand der Leidenschaft hielten und im Rahmen bescheidener Verletzungen auch Experimentelles wagten.
Doch irgend etwas störte das Bild Pollakscher Bewegungsfreude, obgleich dort drüben alles in Ordnung schien. Daß Frau Pollak sich ausdrucksstark, aber ineffizient dagegen wehrte, daß ihr Mann ihr Handschellen anlegte, war Teil des im Grunde friedlichen Spiels.
Else sah kurz zum Nachthimmel auf, als habe dieser die Störung
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