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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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peinlich gewesen, als sei sie über einen alten Bekannten gestolpert, von dem sie nicht mehr so richtig wußte, in welcher Schublade er zu Hause war. Daß sie ihn tatsächlich erkannt und begrüßt hatte, ihren Mann, war ihr als Dummheit erschienen, als Affekt. Während sie sich zu Hause stundenlang anschweigen konnten, blieb es ihnen auf der Straße nicht erspart, miteinander zu reden, über den merkwürdigen Zufall, wie es dem anderen gehe, ja, sie sei auf dem Weg zur Post, ja, er habe alles erledigen können, schön, gut, man sehe sich ja noch. Dann kam der Bus.
    Sie konnte es nicht glauben. Nicht daß sie diesem Mann je viel Gutes nachgesagt hatte, sie hatte ihm gar nichts nachgesagt. Auch wenn sie selbst oft behauptet hatte, einem jeden Menschen sei alles zuzutrauen, ein Mensch ohne dunkle Seite gar nicht denkbar, so war es nun doch etwas anderes, den eigenen Gatten als Mörder, gelinde gesagt als Psychopathen zu erkennen, und ein solcher mußte er ja wohl sein.
    Ohne ihren Kopf zu bewegen, sah sie nach Robert. Hinter dem Sofa waren nur ein Fuß, eine Ellenbogenspitze und ein Teil des Haarschopfs zu sehen. Sie vernahm jenes Schnaufen, das stets seinen Schlaf einleitete. Doch daran glaubte sie nicht. Dort lag ein Verrückter, der jetzt seinen Spaß hatte. Darum die Zeitung. Sie hatte es erfahren sollen, noch an diesem Abend. Am nächsten Tag wäre sie im Büro auf den Überfall angesprochen worden, wo sich doch ihr Haus gleich um die Ecke befand, man hätte ihr den Artikel gezeigt. Im Büro wäre sie geschützt gewesen, hätte die Polizei verständigen können. Jetzt aber … sie brauchte nur den Arm auszustrecken, um das Telefon zu erreichen. Doch sie spürte, daß er lauerte, begierig darauf wartete, daß sie genau das tat. So ging das Spiel, das er sich ausgedacht hatte. Ihr Pech war, daß sie an diesem Tag zur Post gegangen war, daß sie ihn gesehen hatte. Deshalb würde er sie umbringen müssen. Nicht weil sie es wert war, nein, sie war alles andere als opferwürdig. Er war kein spießiger Gattinnenmörder, keine von den jämmerlichen Figuren, die die eigene Frau nicht in den Griff bekamen und dann gleichsam in Notwehr zuschlugen. Er hielt sich für tough, kein kleiner Wichser, sondern kreativ, spontan, dabei ungemein clever. Und er war stolz auf seinen Hochmut, der ihn dazu verführt hatte, auf offener Straße, in der Nähe des eigenen Hauses ein derartiges Verbrechen zu begehen, an einer ihm unbekannten Frau. Gut möglich, daß sein Opfer ihm schon einmal begegnet war, im Supermarkt, beim Bäcker, sie war praktisch eine Nachbarin. Und nachdem sie höchstwahrscheinlich überleben würde, war nicht auszuschließen, daß man sich wieder einmal über den Weg lief. Vielleicht würde sie ihn erkennen. Vielleicht nicht. Mal schärft der Schmerz die Erinnerung. Dann wieder trübt er sie. Ihm war das gleichgültig. Daß sie nicht tot war, war kein wirkliches Unglück. Darum ging es ja nicht, war es ihm noch nie gegangen. Die Handlung als solche zählte, der plötzliche Entschluß, der zur Improvisation zwang, der ungemeine Risiken hervorrief, Fehlerquellen, dumme Zufälle. Das war die Herausforderung. Nach einem Plan zu morden oder eine Sache abzublasen, wenn sie drohte schiefzugehen, das konnte jeder. Braves Kunsthandwerk war nicht seine Sache.
    Dennoch war es erfreulich, daß das Opfer ihn nicht erkannt hatte. Oder es vorzog, den Mund zu halten. Allerdings durfte er eine Finte der Polizei nicht ausschließen. Wie auch immer, jetzt mußte er erst einmal seine Frau beseitigen, was ihn im Grunde anödete, weshalb er der Angelegenheit etwas Farbe verlieh, inszenatorische Kraft. Ein einfaches Stück, mit leichter Hand gespielt, in das er Schwierigkeiten eingebaut hatte, gewagte Kadenzen, etwa das am Tisch plazierte Telefon, so daß Paula eigentlich nur zum Hörer greifen mußte. Ob er nun schlief oder nicht. Sie hätte es eben riskieren müssen. Sie hätte auch, alle Ruhe vorspiegelnd, den Raum verlassen und dann aus dem Haus rennen können. Natürlich hätte er sie erwischt. Aber sie konnte es doch wenigstens versuchen. Statt dessen saß sie da, versteinert, wagte kaum zu atmen. Sie war eben ein feiges Stück, immer schon gewesen, träge, kränklich. Doch er hatte Zeit. Und er wußte ja, daß sie das nicht durchstand, blöde herumzusitzen und auf eine glückliche Wendung zu warten. Sie würde sich schon noch verraten.
    Paula nahm ein Wurstblatt, rollte es ein und schob es sich in den Mund. Das war zwar weniger

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