Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
mit seiner Schadenfreude beschäftigt gewesen, als die Tür ihn mit jener Wucht traf, die genügte, um ihn nach vorne zu schleudern. Was heißt schon Zufall? Wie oft im Leben entgehen wir nur knapp dem Tod, ohne auch nur etwas geahnt zu haben. Robert starb eben, ohne auch nur etwas geahnt zu haben. Wäre er größer oder kleiner gewesen, hätte er ein wenig weiter rechts oder links gestanden, vielleicht wäre die Sache glimpflich ausgegangen. Aber er hatte nun mal die richtige Größe, hatte richtig gestanden. Und war gleichsam mit seinem Körper über das Messer gekommen, hatte mit seiner Brust die Klinge geschluckt, und zwar so, daß diese in seinem Herzen steckengeblieben war. So schnell hatte Paula das Gerät gar nicht loslassen können.
    Die polizeilichen Untersuchungen zu diesem Fall gestalteten sich schwierig. Anfangs waren die Frauen eines Komplotts verdächtigt worden. Denn obwohl gerade Kriminalisten es besser wissen sollten, konnten sie sich eine derartige Aneinanderreihung merkwürdiger Fügungen nicht vorstellen. Dabei war im wesentlichen nichts anderes geschehen als einer von diesen Unfällen, wie sie in einem Haushalt, diesem erwiesenermaßen gefährlichsten Ort auf der Welt, gang und gäbe sind. Als sich dann herausstellte, daß der Mann tatsächlich das Messerattentat in der Veitlissengasse begangen hatte, ließ man großzügig von den Frauen ab und durchforschte das Leben des Toten, wobei man auf einige Unklarheiten stieß, die man mit anderen Unklarheiten verband und solcherart die Aufklärungsrate ein wenig anheben konnte.
    Paula und Else zogen aus der Gegend weg. Ob zu Recht oder Unrecht, sie hatten einen Mann auf dem Gewissen. Auch wenn dieser ein Mörder gewesen war, die Art, wie sie ihn zur Strecke gebracht hatten, ließ Zweifel offen, zeigte eine unschöne Farbe, matt, gräulich, besaß nicht jenen Glanz, jenes Schillern edler Stoffe, die den heroischen Taten etwa von Bankbeamten eigen waren, wenn sie – einer angedrohten Bombenzündung oder Kundenerschießung zum Trotz – kriminellen Elementen den Gehorsam verweigerten. Oder jene Trafikantinnen und Wirtinnen samt ihren Pekinesen und Schäferhunden, deren energische Abwehr von Überfällen die Presse jubeln ließ. Umgekehrt stieg sogar mancher Posträuber zum Volkshelden auf, wenn er Phantasie und Intelligenz bewies und Courage im Umgang mit der Polizei. Aber konnte man Frauen trauen, die die Kaltblütigkeit besaßen, ein Küchenmesser in ein Menschenherz zu bohren? Der allgemeine Tenor besagte: Auch Selbstverteidigung hat ihre Grenzen.
    Else zog in einen anderen Bezirk, Paula nach Innsbruck. Die beiden Frauen verloren sich aus den Augen.
    Und entgegen allen Hoffnungen nahm der österreichische Fußball wieder jene pummelige Gestalt an, die ihm ohnehin besser zu Gesicht steht. Vielleicht auch in dem Bewußtsein eines Künstlers, der begreift, wie wenig ein gewaltiges Lebenswerk zählt im Vergleich zu der einen überragenden Tat, die nur aus sich selbst heraus besteht und die nie wieder aus jenem Kopf verschwinden wird, den wir Geschichte nennen, Weltgeschichte, österreichische Weltgeschichte. Und was ungehemmter Fleiß, nimmersatter Siegeswille und das Unverbindliche der Perfektion im Fußball an Zerstörung anrichten, ist ohnehin überdeutlich zu erkennen. Überall auf der Welt. Leider.

7|  Rad redet
    »Das ist nicht Ihr Ernst«, sagte Cerny, der 1978, sechsundzwanzigjährig, in England gearbeitet hatte, um die dortigen Methoden der Terrorbekämpfung zu studieren.
    »Sie glauben mir nicht.«
    »Natürlich«, sagte er.
    »Was natürlich?«
    »Ich glaube Ihnen.« Er glaubte ihr kein Wort.
    Sie mußten noch eine Viertelstunde warten, ehe Eduard Rad mit tatsächlich unorthodoxem Fahrstil aus der Einfahrt schoß, ein Halteschild ignorierte und in Richtung Wien raste. Else Resele bewies ein gutes Auge. Obgleich sie sich weiterhin an die Verkehrsregeln hielt, war ihre Verfolgung derart ökonomisch angelegt, daß sie und Cerny, als sie kurz vor der Stadtgrenze an einer Ampel zu stehen kamen, sich nur wenige Wagen hinter Rad befanden. In Wien kam der Verkehr zum Stocken, und es war ein leichtes, dem Mann zu folgen, der nervös und ineffizient die Fahrbahnen wechselte.
    In der Stumpergasse parkte Rad ein, streifte dabei einen Wagen, was er nicht zu bemerken schien, sprang aus dem Auto und verschwand in einem Haus. Kaum anzunehmen, daß er hier wohnte. Das war nicht seine Gegend.
    »Lassen Sie mich raus«, sagte Cerny.
    Was bildete er sich ein?

Weitere Kostenlose Bücher