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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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verschuldet. Aber die Katastrophen, die sich dort oben abspielten, waren nicht zu sehen. Was zu sehen war, und jetzt sah sie es, war die hell erleuchtete Küche im anderen der gegenüberliegenden Häuser. Zwischen den artig zusammengebundenen Teilen des Vorhangs erkannte sie ihre Freundin Paula mit einem Fleischermesser in der Hand, was ja in einer Küche schon mal vorkommen konnte. Doch die Art, wie Paula das Schneidegerät hielt, als würde sie damit nicht schneiden, sondern vielmehr zustechen wollen, sowie ihre Körperhaltung, die etwas Lauerndes, gleichzeitig Ängstliches besaß, auch schlichtweg der Umstand, daß Paula um diese Zeit noch nicht im Bett war, wohin es sie stets frühzeitig trieb, um die Entblößung ihres Mannes und seinen Gang ins eheliche Bett zu verschlafen, das alles irritierte Else derart, daß sie sich rasch und ohne Vorwarnung vom Geschlecht und den Aktivitäten des Bankkaufmanns trennte. Weshalb die Interruption zu dessen maßgeblichem Erlebnis geriet.
    Sie zog sich etwas über, schlüpfte in Sandalen. Der Mann blieb dort, wo sie ihn verlassen hatte, leicht nach vorne gebeugt, ungläubig staunend. Wie er so dastand, hätte man ihn aller möglichen Dinge verdächtigen können. Bevor sie aus dem Zimmer rannte, war sie taktvoll genug, sich seiner zu erinnern, nicht taktvoll genug, ihm zu danken. Danken wofür?
    Else mußte das Gesehene dahingehend interpretieren, daß Paula ihren Mann umbringen wollte. Mochte sein, daß er es nicht anders verdiente. Allerdings hatte Paula stets behauptet, es sei ihr völlig gleichgültig, was Robert so treibe, Hauptsache, er würde von ihr nicht mehr verlangen als gebügelte Hemden. Seitdem er sie nicht mehr anfaßte, bügelte sie ihm sogar die Unterwäsche. Warum also, fragte sich Else, während sie über den schmalen Weg lief, der zwischen den Grundstücken lag, wollte Paula ihn töten? Um frei zu sein? Frei wofür? Für einen anderen Mann? Daß ein solcher im Spiel war, konnte sie sich nicht vorstellen. Wozu wäre ein anderer gut gewesen, wenn der Beischlaf ohnehin wegfiel. Um Wurstplatten zu richten, brauchte man keinen neuen Mann.
    Sie schwang sich über den Metallzaun und landete in einem von Roberts geheiligten Blumenbeeten. Er hatte gedroht, jedes Haustier zu vergiften, das in seinen Garten eindrang. Mit Haustier waren alle gemeint. Wahrscheinlich war es ohnehin das beste, wenn man diesen Verrückten umbrachte. Aber dann nicht mit einem Messer. Und nicht durch Paulas Hand.
    Auf dem Weg zum Haus zögerte sie. Sollte sie anläuten? Gut möglich, daß sich Paula dann gezwungen sah, in aller Eile ihren Plan auszuführen. Doch Else überlegte nicht weiter, auch nicht, ob die Tür versperrt war. Als wollte sie das schwere Holz eintreten, sprang sie nach vorne – drückte die Klinke nieder. Und kam nicht mehr dazu, sich des Gelächters hinter der Tür bewußt zu werden.
    Robert schüttelte belustigt den Kopf. Paula hatte das hochgehobene Messer noch immer auf die geschlossene Badezimmertür gerichtet. Nur ihr Gesicht war ihm zugewandt. Worauf sie sich jedoch konzentrierte, das war die eigene Harnblase, die wie in einem Schraubstock steckte, den die Angst zuzog. Sie wollte sich nicht derart blamieren, nicht vor diesem Mann, und nicht so knapp vor dem Ende. Als der Urin dennoch austrat, an ihren Schenkeln hinabrann und auf den Boden tropfte, schloß sie die Augen, um Roberts sprechender Visage zu entgehen. Aber da war noch sein Lachen, mehr ein Krächzen, das etwas Mechanisches hatte, das Lachen einer Puppe – eines Bauchredners, der eine Puppe imitierte. Sie meinte, ihr Schädel zerspringe, weshalb sie daranging, sich die Ohren zuzuhalten. Das Messer hatte sie vergessen, sie spürte den Griff, die Schwere nicht mehr. In einer ganz anderen als der poetisch-martialischen Weise war sie eins mit dem Messer geworden. Es begleitete sie in ihrer Lächerlichkeit, machte diese erst vollkommen. Und als sie nun beide Hände an die Ohren legte und dabei etwas in die Knie ging, war das Küchengerät endlich auf Robert gerichtet, was in diesem Moment auch ihm nicht bewußt wurde. Und es zu erkennen, dazu hatte er in der Folge keine Zeit mehr. Er war zu nahe am Eingang gestanden, und indem Else Resele jetzt mit aller Kraft die Tür öffnete, fiel sie mit selbiger Robert in den Rücken.
    Was nützt die ganze Sportlichkeit, wenn man nicht jederzeit mit unglücklichsten Konstellationen rechnet und seinen Körper in dementsprechender Aufmerksamkeit behält? Robert war so ganz

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